Farbe und Metapheb
betrachtenden - Lichtmetaphorik der in der Landschaft auftreffenden ersten Son-
nenstrahlen des anbrechenden Tages vermittelt Raphael die Suggestion, daß die
changierende Farbigkeit durch dieses Licht bewirkt ward, wodurch er eine für den
zeitgenössischen Betrachter geläufige Anspielung an Aurora einfließen läßt. Schon
im Trecento hatte man Changeantfarben allgemein als >Engelsfarben< verstanden'',
die besonders geeignet waren, übernatürliche und irreale Figuren zu charakterisie-
ren . Wie vertraut auch Raphael diese Farbmetapher schon in vorrömischer Zeit
war, belegt eine lange Reihe entsprechend koloristisch gestalteter Engelsgestal-
ten'1'. Wie selbstverständlich darüber hinaus die zeitgenössischen Betrachter die
Kostbarkeit eines solch leuchtenden Ultramarinblau einzuschätzen wußten und
diesen Wert auch - z. B. in Mariendarstellungen" - als Zeichen thematischer
Dignität verstanden, hat Michael Baxandall herausgearbeitetj8. Nicht weniger
positivwurde auch das Rose im 16. Jahrhundert [arbmetaphorisch gedeutet: Rose
bringt nach Dolce mehr als jede andere Farbe vaghezza und grazia zum Ausdruck
und repräsentiert die ideale »Reinheit eines Knaben und die Gesichtsrölung einer
Jungfrau« 9. Auch wurde Rose in dieser Zeit als besonders >vornehme< Farbe einge-
stuft, wie Castiglione in einer Anekdote seines Corlegiano belegt . Nicht zuletzt
war dieser hoheitsvolle und lichthaft verklärte Zweiklang aus Karminrot im Unter-
kleid und Ultramarinblau im mantelartig gerafften Überkleid der rechten Personi-
fikation dem zeitgenössischen Betrachter zuvorderst aus christlichen Darstellun-
gen an Maria vertraut, wie z. 15. im Vergleich mit derverwandten Mariengestalt aus
Raph&els Anbetung der Heiligen Drei Könige (Abb. 54) zu sehen ist. Raphael hätte
sich schon sehr ungeschickt angestellt, wenn er mit diesen visuellen Mitteln für den
zeitgenössischen Betrachter eine lasterhafte Voluptas charakterisieren wollte. Daß
dies nicht der Fall war, erhärten zwei weitere Metaphern, die den thematischen
Gehalt der rechten Personifikation weiter präzisieren: Die Figur ist mit mehreren,
51 C. Cennini, Das Buch von der Malerei, 1988, S. 55, Cap. 77.
35 G. Groschopf, Über die Schillerfarben, 1939, S. 71.
36 Vgl. z. B. die Engel in derKirchenfahne {Erschaffung Evas, Leinwand, 167 x 94 cm, Cittä
di Castello, Pinacoteca Comunale), in der Lünette der Pala Colonna (Abb. 46), in der
Ölbergszene (Abb. 50) oder am rechten Rand in der Himmelszone der Marienkrönung
(Öl auf Holz, 267 x 163 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana, Inv.-Nr. 334.).
57 Siehe hierzu Kap. IV, S. 212f.
58 M. Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder, 1984, S. 168.
59 L. Dolce, Dialogo, 1985, S. 15r.: »percioche egli rappresenta piu, che altro colore, la
nitidezza d'un fanciullo, e la rosa del volto d'una polcella«. Vgl. auch A. Thvlesius:
»Iucundissimus omnium est color roseus« (zitiert nach dem Texlauszug in: .1. VV. v. Goe-
the, Farbenlehre. Historischer Teil, 1986, S. 148).
80 B. Castiglione, Libro del Cortegiano, 1987, S. 185, Ders., Das Buch vom Hofmann,
1986, S. 208. Siehe hierzu Kap. VIII, S. 453f.
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betrachtenden - Lichtmetaphorik der in der Landschaft auftreffenden ersten Son-
nenstrahlen des anbrechenden Tages vermittelt Raphael die Suggestion, daß die
changierende Farbigkeit durch dieses Licht bewirkt ward, wodurch er eine für den
zeitgenössischen Betrachter geläufige Anspielung an Aurora einfließen läßt. Schon
im Trecento hatte man Changeantfarben allgemein als >Engelsfarben< verstanden'',
die besonders geeignet waren, übernatürliche und irreale Figuren zu charakterisie-
ren . Wie vertraut auch Raphael diese Farbmetapher schon in vorrömischer Zeit
war, belegt eine lange Reihe entsprechend koloristisch gestalteter Engelsgestal-
ten'1'. Wie selbstverständlich darüber hinaus die zeitgenössischen Betrachter die
Kostbarkeit eines solch leuchtenden Ultramarinblau einzuschätzen wußten und
diesen Wert auch - z. B. in Mariendarstellungen" - als Zeichen thematischer
Dignität verstanden, hat Michael Baxandall herausgearbeitetj8. Nicht weniger
positivwurde auch das Rose im 16. Jahrhundert [arbmetaphorisch gedeutet: Rose
bringt nach Dolce mehr als jede andere Farbe vaghezza und grazia zum Ausdruck
und repräsentiert die ideale »Reinheit eines Knaben und die Gesichtsrölung einer
Jungfrau« 9. Auch wurde Rose in dieser Zeit als besonders >vornehme< Farbe einge-
stuft, wie Castiglione in einer Anekdote seines Corlegiano belegt . Nicht zuletzt
war dieser hoheitsvolle und lichthaft verklärte Zweiklang aus Karminrot im Unter-
kleid und Ultramarinblau im mantelartig gerafften Überkleid der rechten Personi-
fikation dem zeitgenössischen Betrachter zuvorderst aus christlichen Darstellun-
gen an Maria vertraut, wie z. 15. im Vergleich mit derverwandten Mariengestalt aus
Raph&els Anbetung der Heiligen Drei Könige (Abb. 54) zu sehen ist. Raphael hätte
sich schon sehr ungeschickt angestellt, wenn er mit diesen visuellen Mitteln für den
zeitgenössischen Betrachter eine lasterhafte Voluptas charakterisieren wollte. Daß
dies nicht der Fall war, erhärten zwei weitere Metaphern, die den thematischen
Gehalt der rechten Personifikation weiter präzisieren: Die Figur ist mit mehreren,
51 C. Cennini, Das Buch von der Malerei, 1988, S. 55, Cap. 77.
35 G. Groschopf, Über die Schillerfarben, 1939, S. 71.
36 Vgl. z. B. die Engel in derKirchenfahne {Erschaffung Evas, Leinwand, 167 x 94 cm, Cittä
di Castello, Pinacoteca Comunale), in der Lünette der Pala Colonna (Abb. 46), in der
Ölbergszene (Abb. 50) oder am rechten Rand in der Himmelszone der Marienkrönung
(Öl auf Holz, 267 x 163 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana, Inv.-Nr. 334.).
57 Siehe hierzu Kap. IV, S. 212f.
58 M. Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder, 1984, S. 168.
59 L. Dolce, Dialogo, 1985, S. 15r.: »percioche egli rappresenta piu, che altro colore, la
nitidezza d'un fanciullo, e la rosa del volto d'una polcella«. Vgl. auch A. Thvlesius:
»Iucundissimus omnium est color roseus« (zitiert nach dem Texlauszug in: .1. VV. v. Goe-
the, Farbenlehre. Historischer Teil, 1986, S. 148).
80 B. Castiglione, Libro del Cortegiano, 1987, S. 185, Ders., Das Buch vom Hofmann,
1986, S. 208. Siehe hierzu Kap. VIII, S. 453f.
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