Traum eines Ritters und Hypnerotomachia Poliphiü
färben und der koloristischen Interpretation von Licht und Dunkel mit dem ausge-
prägten peruginesken Schattenrealismus auf dem Boden und den virtuosen Re-
flexlichtern in der Rüstung bemerkenswert: Diese koloristische Auffassung zeigt
noch nichts von einer den Buntfarben übergeordneten unfarbigen Wirkung des
Lichts, wie sie z. B. in der 1504/5 entstandenen Madonna Terranuova (Abb. 16)
zu sehen ist, und bestätigt die Datierung dieses Miniaturbildes ins Jahr 1503/4.
Es war voreilig, die verbreitete Bezeichnung »Traum eines Ritters« nur als eine
unverbindliche Benennung< abzutun D, denn tatsächlich fußt dieser Titel auf einer
bisher zwar nicht methodisch interpretierten, aber immerhin intuitiv erschlosse-
nen visuellen Schlüsselmetapher des Bildes, die auch innerhalb der visuellen Kultur
dieser Zeit bedeutend ist: Daß der Betrachter versteht, daß hier an dem Ritter ein
geistig erhellter, im Innern von Träumen bewegter Schlaf, der sich z. B. vom
schweren, ohnmächtigen Schlaf der Jünger in Raphaels Ölbergszene (Abb. 50)
unterscheidet, dargestellt ist, hat Raphael mit Hilfe einer Lichlgestaltung realisiert,
deren sich in ähnlicher Form schon Piero della Francesca in der Darstellung des
Konstantintraums in S. Francesco in Arezzo bediente"1': Dies geschieht durch die
ideale Helle auf dem Gesicht des Schlafenden und durch die über den Helm
transitorisch strömenden Lichtreflexe, die als frei an den Dingen kondensierendes
Licht ein nicht weiter rationalisierbares Moment bildmetaphorischer Verklärung
bilden; beide zusammen verleihen der Figur im Schlaf, als dem für das menschliche
Bewußtsein unwirklichsten aller Zustände, ein hohes Maß auf den Kopf konzentrier-
ter mentaler Präsenz. Es ist dabei gerade der latente Widerspruch zwischen der
gesteigerten Helle und dem gegenüber jeder äußeren Wahrnehmung verschlos-
senen blicklosen Gesicht des Schlafenden, der das anschauliche Verstehen des
Betrachters auf die virtuelle Ebene des Metaphorischen lenkt. Hierin liegt mehr als
nur eine Pointe, sondern eine für die gesamte poetische Struktur der Darstellung
und ihren thematischen Gehalt wichtige anschauliche Schlüsselstelle, an der der
Betrachter auf die Veränderung der Realitätsebene aufmerksam wird und begreift,
daß er in dieser Darstellung partiell das innere Bild eines Träumenden erblickt.
Dieser für die thematische Deutung von Raphaels Darstellung grundlegende Reali-
tätssprung zwischen der Tagwelt und der Traumsphäre ist auch im Verhältnis von
Figur und Landschaft und in der räumlichen Gliederung anschaulich: Der Träu-
mende und die zwei Frauengestalten befinden sich in einem schmalen Vorder-
grundsbereich, der in seiner Kargheit und Abstraktheit keinen konkret innerweltli-
chen, sondern einen abstrakten geistigen Ort bezeichnet. Der Übergang zur Land-
schaft des Hintergrunds steht weder in einem bruchlosen räumlichen, noch insge-
95 E. Panofsky, Hercules am Scheidewege, 1950, S. 57.
96 S. Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance, 1996, Abb. 149.
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färben und der koloristischen Interpretation von Licht und Dunkel mit dem ausge-
prägten peruginesken Schattenrealismus auf dem Boden und den virtuosen Re-
flexlichtern in der Rüstung bemerkenswert: Diese koloristische Auffassung zeigt
noch nichts von einer den Buntfarben übergeordneten unfarbigen Wirkung des
Lichts, wie sie z. B. in der 1504/5 entstandenen Madonna Terranuova (Abb. 16)
zu sehen ist, und bestätigt die Datierung dieses Miniaturbildes ins Jahr 1503/4.
Es war voreilig, die verbreitete Bezeichnung »Traum eines Ritters« nur als eine
unverbindliche Benennung< abzutun D, denn tatsächlich fußt dieser Titel auf einer
bisher zwar nicht methodisch interpretierten, aber immerhin intuitiv erschlosse-
nen visuellen Schlüsselmetapher des Bildes, die auch innerhalb der visuellen Kultur
dieser Zeit bedeutend ist: Daß der Betrachter versteht, daß hier an dem Ritter ein
geistig erhellter, im Innern von Träumen bewegter Schlaf, der sich z. B. vom
schweren, ohnmächtigen Schlaf der Jünger in Raphaels Ölbergszene (Abb. 50)
unterscheidet, dargestellt ist, hat Raphael mit Hilfe einer Lichlgestaltung realisiert,
deren sich in ähnlicher Form schon Piero della Francesca in der Darstellung des
Konstantintraums in S. Francesco in Arezzo bediente"1': Dies geschieht durch die
ideale Helle auf dem Gesicht des Schlafenden und durch die über den Helm
transitorisch strömenden Lichtreflexe, die als frei an den Dingen kondensierendes
Licht ein nicht weiter rationalisierbares Moment bildmetaphorischer Verklärung
bilden; beide zusammen verleihen der Figur im Schlaf, als dem für das menschliche
Bewußtsein unwirklichsten aller Zustände, ein hohes Maß auf den Kopf konzentrier-
ter mentaler Präsenz. Es ist dabei gerade der latente Widerspruch zwischen der
gesteigerten Helle und dem gegenüber jeder äußeren Wahrnehmung verschlos-
senen blicklosen Gesicht des Schlafenden, der das anschauliche Verstehen des
Betrachters auf die virtuelle Ebene des Metaphorischen lenkt. Hierin liegt mehr als
nur eine Pointe, sondern eine für die gesamte poetische Struktur der Darstellung
und ihren thematischen Gehalt wichtige anschauliche Schlüsselstelle, an der der
Betrachter auf die Veränderung der Realitätsebene aufmerksam wird und begreift,
daß er in dieser Darstellung partiell das innere Bild eines Träumenden erblickt.
Dieser für die thematische Deutung von Raphaels Darstellung grundlegende Reali-
tätssprung zwischen der Tagwelt und der Traumsphäre ist auch im Verhältnis von
Figur und Landschaft und in der räumlichen Gliederung anschaulich: Der Träu-
mende und die zwei Frauengestalten befinden sich in einem schmalen Vorder-
grundsbereich, der in seiner Kargheit und Abstraktheit keinen konkret innerweltli-
chen, sondern einen abstrakten geistigen Ort bezeichnet. Der Übergang zur Land-
schaft des Hintergrunds steht weder in einem bruchlosen räumlichen, noch insge-
95 E. Panofsky, Hercules am Scheidewege, 1950, S. 57.
96 S. Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance, 1996, Abb. 149.
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