Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Farbe und Metapher

samt - wie es Panofsky sah - in einem einheitlichen allegorischen Zusammen-
hang: Die von Raphael im Hintergrund dargestellte Welt bildet eben nicht wie bei
Brant (Abb. 5) als symbolischer Ort den »Wohnsitz« der allegorischen Personifika-
tionen und damit einen Bestandteil der Traumwelt des Ritters"', sondern ist dessen
von Menschen belebte Tag- und Lebenswelt, aus der dieser im Zustand des Schlafs
nach vorn hin entrückt ist. Zu dieser Entrückung trägt nicht zuletzt auch die irreale
Steigerung der Intensität der Buntfarben bei. An der nur durch die planimetrische
Koordination überbrückten Trennung zwischen Vorder- und Hintergrund ist die
virtuelle Grenze zwischen Welt und Schlaf gezogen, an der die Realitätsgrenzen des
Geträumten in der Darstellung Raphaels anschaulich gegenwärtig sind. Komplex
sind in dieser Darstellung Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit miteinander ver-
schränkt, indem der Betrachter sieht, was für den Protagonisten der Darstellung
selbst konkret nicht sichtbar ist. Und indem der Betrachter diese im Schlaf aus der
Sichtbarkeit entrückte Welt im Rücken des Schlafenden mit dem lichtmetaphorisch
verklärten, träumenden Gesicht zusammensieht, gelangen die hinter dem Ritter
stehenden Figuren im Vordergrund unwillkürlich auf die Ebene des Visionären,
des Traumhaften. Durch die irreale Verbindung von tagheller Welt und der Intro-
spektion des Träumenden hat Raphael den symbolischen Gehalt dieser Allegorie auf
den Boden der >sinnlichen< Anschauung eines Traumbildes verlagert; es sind die
Realitätsgrenzen des Allegorischen selbst, die in dieser komplexen metaphorischen
Büdgestaltung anschaulich werden.

Auch im »Traumliebesstreit« der Hypnerotomachia Poliphili bildet das Motiv
eines unter einem Baum schlafenden und träumenden Jünglings ein in Text und
Bild vergegenwärtigtes prominentes Eröffnungsmotiv, von dem aus Colonna die
gesamte Romanerzählung als Traumbericht der verschlungenen und hindernisrei-
chen Wege des Protagonisten zu seiner geliebten Polia entfaltet. Poliphilo erscheint
dabei freilich ohne Rüstung und nicht unter einem Lorbeer-, sondern unter einem
Eichenbaum, und erst an anderer Stelle beschreibt Colonna, wie Poliphilo und Polia
unter >Lorbeer und Myrte< lagern"8. Nicht nur im Titel »Hypnerotomachia«, sondern
auch im vorangestellten Motto, daß das >Leben nichts als ein Traum< sei, ist der
Traum als übergeordnetes Thema präsent: »Hypnerotomachia Poliphili, ubi liuma-

E. Panofsky, Hercules am Scheidewege, 1930, S. 108. Mit einer einigermaßen aufwen-
digen begrifflichen Konstruktion hatte Panofsky versucht, auch den an diesem Punkt
bestellenden grundlegenden Unterschied zwischen Raphaels Darstellung und dem Holz-
schnitt zu überbrücken, indem er die beiden Krauengestalten als »unmittelbares Traum-
objekt«, die Landschaft aber als »mittelbares Traumobjekt« zur symbolisch gemeinten
Traumlandschaft erhol).
Ebd., S. 236.

54
 
Annotationen