Kritik und Rühmung im 16. Jahrhundert
Da viele von den Äu ßerungen zu Raphaels Farbe von weiterreichender kunsttheo-
retischer Bedeutung sind - etwa Belloris Verbindung von Farbe und Idea - , und da
diese zudem in der Raphaelliteratur nur wenig oder gar nicht gegenwärtig sind,
habe ich den Weg einer ausführlichen intertextuellen Darstellung gewählt, die
weitgehend nach der Chronologie der Quellen gegliedert ist. Hierdurch wird auch
deutlicher zu erkennen sein, wo die Relikte der vergangenen Beschäftigung mit
Raphaels Farbe als rezeptionsgeschichtliche Sedimentierungen in der erneuten
Betrachtung - wie z. B. im negativen Urteil über Raphaels Grabtragung (Abb. 59)
- wirksam sind. Viele dieser Vorbehalte gegen Raphaels Farbe haben eine lange
Tradition. Eine Möglichkeit, diese Vorurteile abzubauen, ist, ihre Geschichte zu
schreiben. Dies mag hier vorab geschehen, um in den folgenden Kapiteln die
Anschauung der Bilder zu entlasten. Denn nicht das Postulat einer ahistorisch auf
die Betrachtung der >Nursichtbarkeit der Farben« gerichteten Anschauung macht
den Weg frei für eine verstehende Anschauung, sondern die historische Beflexion
über das, was den Weg dorthin verstellt.
Kritik und Rühmung von Raphaels Farbe im i 6. Jahrhundert
Am 2. Juli 1518 bemerkt SEBASTIANO DEL PlOMBO in einem Brief an Michelangelo
spöttisch über die Farbigkeit von Raphaels neuesten Bildern: »lo nonvi diro' altro,
che pareno figure che siano State al fumo, overo figure de ferro che luceno, tutte
chiare et tutte nere, et desegnate al modo ve dir» Leonardo [de' Borgherini, detto
Sellaio].« Daß diese Zeilen eines Malers, der gleichzeitig in unausgesprochenem,
aber allgemein beachtetem Wettstreit mit Raphael (»quasi a concorrenza«) für
denselben Auftraggeber ein Altarbild malte', alles andere als den Tenor des Urteils
der Zeitgenossen über Raphaels Farbe wiedergeben, vielmehr eine offenbar unter
den Anhängern Michelangelos verbreitete Polemik darstellen, von der sich auch
Vasari nicht ganz frei gemacht hat, wird bei der Durchsicht der übrigen Quellen des
16. Jahrhunderts deutlich. Vasari berichtet uns in der Vita Sebastianos von der
Ansicht vieler, »che le pitture di lui [Raphael] erano secondo 1' ordine della pittura
V. Golzio , Raffaello nei documenti, 1971, S. 71.
Vasari, Vite, Bd. V, S. 570: Es handelt sich um Sebastianos Erweckung des Lazarus
(Holz, auf Leinwand übertragen, 381 x 289 cm, London, National Gallery, [nv.-Nr. I) und
Raphaels Transjiguration (Öl auf Holz, 410 x 279 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana, In\.-
Nr. 333). Siehe hierzu die entsprechenden Briefe von Leonardo Sellaio vom 19.1.1517
(V. Golzio, Raffaello nei documenti, 1971, S. 52f.), vom 26.9.1517 (ebd., S. 59f.), den
Brief von Sebasüano de] Piombo an Michelangelo vom 2.7.1518 (ebd., S. 78f.) und die in
Dolces Diaologo della pittura von Aretino überlieferten Äußerungen Raphaels
(L. Dolce, Dialogo della Pittura, i960, S. 151).
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Da viele von den Äu ßerungen zu Raphaels Farbe von weiterreichender kunsttheo-
retischer Bedeutung sind - etwa Belloris Verbindung von Farbe und Idea - , und da
diese zudem in der Raphaelliteratur nur wenig oder gar nicht gegenwärtig sind,
habe ich den Weg einer ausführlichen intertextuellen Darstellung gewählt, die
weitgehend nach der Chronologie der Quellen gegliedert ist. Hierdurch wird auch
deutlicher zu erkennen sein, wo die Relikte der vergangenen Beschäftigung mit
Raphaels Farbe als rezeptionsgeschichtliche Sedimentierungen in der erneuten
Betrachtung - wie z. B. im negativen Urteil über Raphaels Grabtragung (Abb. 59)
- wirksam sind. Viele dieser Vorbehalte gegen Raphaels Farbe haben eine lange
Tradition. Eine Möglichkeit, diese Vorurteile abzubauen, ist, ihre Geschichte zu
schreiben. Dies mag hier vorab geschehen, um in den folgenden Kapiteln die
Anschauung der Bilder zu entlasten. Denn nicht das Postulat einer ahistorisch auf
die Betrachtung der >Nursichtbarkeit der Farben« gerichteten Anschauung macht
den Weg frei für eine verstehende Anschauung, sondern die historische Beflexion
über das, was den Weg dorthin verstellt.
Kritik und Rühmung von Raphaels Farbe im i 6. Jahrhundert
Am 2. Juli 1518 bemerkt SEBASTIANO DEL PlOMBO in einem Brief an Michelangelo
spöttisch über die Farbigkeit von Raphaels neuesten Bildern: »lo nonvi diro' altro,
che pareno figure che siano State al fumo, overo figure de ferro che luceno, tutte
chiare et tutte nere, et desegnate al modo ve dir» Leonardo [de' Borgherini, detto
Sellaio].« Daß diese Zeilen eines Malers, der gleichzeitig in unausgesprochenem,
aber allgemein beachtetem Wettstreit mit Raphael (»quasi a concorrenza«) für
denselben Auftraggeber ein Altarbild malte', alles andere als den Tenor des Urteils
der Zeitgenossen über Raphaels Farbe wiedergeben, vielmehr eine offenbar unter
den Anhängern Michelangelos verbreitete Polemik darstellen, von der sich auch
Vasari nicht ganz frei gemacht hat, wird bei der Durchsicht der übrigen Quellen des
16. Jahrhunderts deutlich. Vasari berichtet uns in der Vita Sebastianos von der
Ansicht vieler, »che le pitture di lui [Raphael] erano secondo 1' ordine della pittura
V. Golzio , Raffaello nei documenti, 1971, S. 71.
Vasari, Vite, Bd. V, S. 570: Es handelt sich um Sebastianos Erweckung des Lazarus
(Holz, auf Leinwand übertragen, 381 x 289 cm, London, National Gallery, [nv.-Nr. I) und
Raphaels Transjiguration (Öl auf Holz, 410 x 279 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana, In\.-
Nr. 333). Siehe hierzu die entsprechenden Briefe von Leonardo Sellaio vom 19.1.1517
(V. Golzio, Raffaello nei documenti, 1971, S. 52f.), vom 26.9.1517 (ebd., S. 59f.), den
Brief von Sebasüano de] Piombo an Michelangelo vom 2.7.1518 (ebd., S. 78f.) und die in
Dolces Diaologo della pittura von Aretino überlieferten Äußerungen Raphaels
(L. Dolce, Dialogo della Pittura, i960, S. 151).
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