Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zun BlLDMETAPHOniK DES GÖTTLICHEN IN RAPHAELS MADONNEN

Zum kulturgeschichtlichen Hintergrund dieser Sichtbarkeitsmetaphorik mögen
an dieser Stelle einige Hinweise genügen: Die Darstellung der Inkarnation gehörte,
wie z. B. die von BaxandaU zusammengestellten Quellen zu den Funktionen von
Bildern im 15. Jahrhundert exemplarisch belegen, als höchste Form der göttlichen
Offenbarung schon lange zu einem der wichtigsten Rechtfertigungsgründe für die
malerische Darstellung des Göttlichen. So faßte schon Johannes von Genua im
späten 13. Jahrhundert in seinem Catholicon die Gründe für die Darstellungen von
heiligen Sujets zusammen, die auch im 15. und 16. Jahrhundert nicht an Aktualität
verloren hatten: »Wisse, daß es drei Gründe für die Institution von Bildern in den
Kirchen gibt. Erstens zur Unterweisung der einfachen Menschen, weil sie durch
Bilder belehrt werden, als wären es Bücher. Zweitens, um das Geheimnis der
Inkarnation und Beispiele der Heiligen dadurch stärker auf unser Gedächtnis
wirken zu lassen, daß wir sie täglich vor Augen haben. Drittens, um Empfindun-
gen der Frömmigkeit hervorzurufen, die durch Gesehenes leichter wach werden als
durch Gehörtes.«" Die Deutung der Inkarnation auf dem Boden der Inkarnatfar-
bigkeit war auch im frühen 16. Jahrhundert als eine der Hauptaufgaben religiöser
Malerei theologisch legitimiert. Und es wird zu untersuchen sein, wie Raphael über
die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen der farbigen Gestalt seiner Dar-
stellungen eine metaphorische Deutung gewinnt, in der jeweils ein anschaulicher
Begriff der Inkarnation des Göttlichen gestaltet ist. Dabei hat man bisher insbeson-
dere den lichtmetaphorischen Anteil am Thema der Inkarnation übersehen, der
nicht nur in Raphaels Malerei, sondern auch in der theologischen Reflexion über
die Inkarnation ein zentrales Element ist, indem- nach mittelalterlicher und noch
im 16. Jahrhundert gültiger Vorstellung- in der Menschwerdung des präexistenten
Gottes auch das »Licht der wahren Weisheit Gottes empfangen« wird1". In diesen
lichtmetaphorischen Zusammenhang konnte Raphael auch die im Anschluß an
Piatons Sonnengleichnis entfaltete neoplatonische Gleichsetzung des Göttlichen
mit dem Sonnenlicht einfließen lassen, dessen große Verbreitung im 15. und
16. Jahrhundert exemplarisch z. B. die entsprechende Lichtmetaphorik bei Marsi-
lio Ficino" oder bei Mario Equicola1 dokumentieren. Wie selbstverständlich diese

tung und Farbtheorie, 1987, S. 219ff., mit weiterführender Literatur, ebd.. Anm. 64; vgl.
E. Maurer, Der Fleischmaler, 1982, S. 14311'.).

11 Johannes von Genua, Catholicon, zitiert nach M. Baxandall, Die Wirklichkeit der
Bilder, 1984, S. 58.

12 Siehe hierzu weiterführend den Artikel Inkarnation, in: Historisches Wörterbuch
der Philosophie, Bd. 4,1976, Sp. 570.

13 M. Ficino, De amore, 15. Kap., S. 267; vgl. Piatons Sonnengleichnis im 6. Buch der
Politeia, 508a - 5091).

11 M. Equicola, Librodi natura d' amore, 1975, S. 2157; siehe zu dieser Lichtmetaphorik

168
 
Annotationen