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Die Predellen der Marienkrönung

Entwicklung von Raphael als Erzähler wurde bereits früh erkannt: »Die kleinen
Predellenbilder dieses Altarblattes [...] zeigen schon beinahe florentinisch freie
Formen und Erzählungsweise«129, merkte Jakob Burckhardt an, und Oskar Fische]
hat darüber hinaus auch schon allgemein mit emphatischen Worten auf die »dra-
matisch vielsagende [...] Farbigkeit, die Perugino, aber auch jedem anderen Zeitge-
nossen, völlig fern lag« hingewiesen: »Aber niemals war Farbe zum Ausdruck der
szenischen Stimmung geworden wie hier beim jungen Raphael.« »Dieser geborene
Maler spricht ungehemmt in den Predellen, wenn Farbe und Erzählung unzer-
trennlich werden. Er greift jedesmal den farbigen Akkord für die Stimmung: die
Anbetung der Könige, ein leuchtend heiterer und bunter Zug - die Darbringung:
feierliches Gold und Grau zur Steinfarbe des Tempels - die Verkündigung: Stunde
des Ave...«1'" In diesen poetisierenden Umschreibungen ist immerhin in der Sache
eine Angemessenheit zwischen Farbe und Thema angesprochen, die im folgenden
in einer methodischen Analyse zu erschließen ist.

Ein wichtiger Unterschied zu den bisher betrachteten Predellen liegt dabei darin,
daß Raphael die Farbkomposition dieser drei Szenen nicht wie bisher aus einem
allen gemeinsamen farbigen Grundmodell, der Polarität von Bunt und Unbunt,
entworfen hat, sondern diese nach drei verschiedenen erzählerischen Modi farbme-
taphorisch stärker differenziert: Während die Verkündigungsszene aus einfachen
Einzelfarbbezügen komponiert ist und die Darbringung Jesu von übersichtlich
geordneten Farbgruppen bestimmt wird, zeigt die Anbetung der Heiligen Drei
Könige eine kontrapunktisch komplex auskomponierte Struktur. Freilich ist allen
drei Szenen ein koloristisches Schlüsselmotiv gemeinsam, der Marienfarbklangaus
Kobaltblau und Purpurrose, der in allen drei Historien als Ziel- oder Kristallisations-
punkt der Farbkomposition figuriert und der die Predellen auch mit der Haupttafel
anschaulich verbindet.

Die narrative Struktur der Verkündigung (Abb. 53) ist von der anschaulichen
Beziehung der leuchtenden Purpurrosetöne an Gabriel, Gottvater und an Maria
bestimmt, die Raphael mit großer farbkompositioneller Einfachheit über das ge-
samte Format der Predella ausgespannt hat: Die lichteste dieser drei Figuren ist der
Verkündigungsengel, der ganz in Karminrose gekleidet die Erzählung von links her
dynamisch eröffnet. Seine Lichthaftigkeit ist nur noch von der Helle der Inkarnat-

IJ!)

ISO

1996) faßt die historischen Entstehungsumstände der Marienkrönung zusammen (ebd.,
S. 201T.) und gibt eine sorgfältige Beschreibung der narrativen Zusammenhänge der
Figurenkomposition der Predellen (S. 77-91), die sich in manchen Punkten mit meinen
Analysen berührt, die Kategorie der Farbe allerdings ausspart.
J. Burckhardt, Der Cicerone, 1986, S. 843.
O. Fischel, Raphael, 1962, S. 18f., S. 26.

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