Die Meister der „Romantik Gericault und Delacroix
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Anschauung. Nichts, was nur richtig wäre. Über dem Ganzen eine
Wahrheit des Lichts und der Atmosphäre, die sich dem Vorgang
mitteilt, so daß er glaubhaft wird. Eine Stadt, eine riesige Stadt, am
Meer, mit Mauern und Türmen, im Licht unter drohendem Himmel.
Eine Säulenhalle, die auch in Rom oder in Timgad stehen könnte.
Mord und Getümmel zu den Seiten, vorn eine Gruppe Sterbender und
in der Mitte das Häuflein der Phantastischen wie eine dunkle Feuer-
säule, und das Ganze erregt in den Linien, bunt und glühend von
Farben die geheimnisvoll leuchten, in unfaßbarem Glanz, nicht ganz
zu Ende gesagt, sondern mit gleißnerischer Pracht plötzlich aufhörend.
Alle Elemente der Bildvorstellung beziehen sich aufeinander und
durchdringen einander. Deshalb wirkt das Ganze, noch ehe man
erkannt hat, was vorgeht, als eine fertige Vision.
Delacroix hat viele literarische Dinge gemalt. Szenen aus Faust
und aus Shakespeare, aus Byron und Victor Hugo, aus Tasso und
Walter Scott, aus griechischen Freiheitsliedern und aus dem spa-
nischen Romancero. So wie Rembrandt aus der Bibel malte. Er
illustrierte nicht, so wie die Klassizisten illustrierten, erzählend,
sondern das Gelesene stand plötzlich bildhaft vor ihm, fertig, eine
malerische Einheit, wie durch die Erhellung eines Blitzes entschleiert.
Der „König Rodrigo“, zwei Meter hoch, ist in vier Stunden herunter-
gefegt. Er sah Dante und Homer und die Dichter so an, wie er die
Natur oder die Antike ansah, mit seinem durchdringendem Welt-
gefühl, mit dem er immer sofort das Geheimnis einer Erscheinung
ahnte. Und weil er über die Natur alles wußte und weil er aus seinem
Studium der Natur und der alten Meister heraus alles konnte und alle
Mittel der Malerei beherrschte, war es gleichgültig, woran sich seine
Phantasie entzündete, ob an einem Barrikadenkampf oder einem
Gladiolenstrauß, ob an einem Dichtervers oder an der Erinnerung
an eine Stelle am Rande der Wüste, an der ein Löwe einen Araber
könnte überfallen haben, ob an einer Melodie von Mozart, den er
liebte, oder an einer Zeilenfolge von Victor Hugo, den er durchschaute,
ob an einer Architektur oder an einer Etüde von Chopin. Seine
Malerei war Pantheismus. Er hat alle großen Meister der Vergangen-
heit geliebt und studiert und zu Zeiten nähert er sich der Atmosphäre
Rembrandts. Aber in dem Gebäude seiner Kunst wohnen ebenso
wie Veronese neben Rafael, so Rubens neben Rembrandt, von denen
die Schulweisheit doch glaubt, sie schlössen einander aus. Dieser
komplexe Geist, Delacroix, vereinigte alles in sich, und nie denkt
man vor einem seiner Bilder an einen alten Meister, obwohl sie alle
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Anschauung. Nichts, was nur richtig wäre. Über dem Ganzen eine
Wahrheit des Lichts und der Atmosphäre, die sich dem Vorgang
mitteilt, so daß er glaubhaft wird. Eine Stadt, eine riesige Stadt, am
Meer, mit Mauern und Türmen, im Licht unter drohendem Himmel.
Eine Säulenhalle, die auch in Rom oder in Timgad stehen könnte.
Mord und Getümmel zu den Seiten, vorn eine Gruppe Sterbender und
in der Mitte das Häuflein der Phantastischen wie eine dunkle Feuer-
säule, und das Ganze erregt in den Linien, bunt und glühend von
Farben die geheimnisvoll leuchten, in unfaßbarem Glanz, nicht ganz
zu Ende gesagt, sondern mit gleißnerischer Pracht plötzlich aufhörend.
Alle Elemente der Bildvorstellung beziehen sich aufeinander und
durchdringen einander. Deshalb wirkt das Ganze, noch ehe man
erkannt hat, was vorgeht, als eine fertige Vision.
Delacroix hat viele literarische Dinge gemalt. Szenen aus Faust
und aus Shakespeare, aus Byron und Victor Hugo, aus Tasso und
Walter Scott, aus griechischen Freiheitsliedern und aus dem spa-
nischen Romancero. So wie Rembrandt aus der Bibel malte. Er
illustrierte nicht, so wie die Klassizisten illustrierten, erzählend,
sondern das Gelesene stand plötzlich bildhaft vor ihm, fertig, eine
malerische Einheit, wie durch die Erhellung eines Blitzes entschleiert.
Der „König Rodrigo“, zwei Meter hoch, ist in vier Stunden herunter-
gefegt. Er sah Dante und Homer und die Dichter so an, wie er die
Natur oder die Antike ansah, mit seinem durchdringendem Welt-
gefühl, mit dem er immer sofort das Geheimnis einer Erscheinung
ahnte. Und weil er über die Natur alles wußte und weil er aus seinem
Studium der Natur und der alten Meister heraus alles konnte und alle
Mittel der Malerei beherrschte, war es gleichgültig, woran sich seine
Phantasie entzündete, ob an einem Barrikadenkampf oder einem
Gladiolenstrauß, ob an einem Dichtervers oder an der Erinnerung
an eine Stelle am Rande der Wüste, an der ein Löwe einen Araber
könnte überfallen haben, ob an einer Melodie von Mozart, den er
liebte, oder an einer Zeilenfolge von Victor Hugo, den er durchschaute,
ob an einer Architektur oder an einer Etüde von Chopin. Seine
Malerei war Pantheismus. Er hat alle großen Meister der Vergangen-
heit geliebt und studiert und zu Zeiten nähert er sich der Atmosphäre
Rembrandts. Aber in dem Gebäude seiner Kunst wohnen ebenso
wie Veronese neben Rafael, so Rubens neben Rembrandt, von denen
die Schulweisheit doch glaubt, sie schlössen einander aus. Dieser
komplexe Geist, Delacroix, vereinigte alles in sich, und nie denkt
man vor einem seiner Bilder an einen alten Meister, obwohl sie alle