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Die Meister der „Romantik“ Gericault und Delacroix
in ihm enthalten sind. Für die Kirche St. Sulpice schuf er ein Fresko,
die Vertreibung Heliodors, und es klingt wie eine Herausforderung
an Rafael, wenn man die Wahl des Themas vernimmt; und der lie-
gende Räuber hat ein Profil wie der bei Rafael. Aber sonst, abgesehen
von Einzelheiten die nicht schwerer wiegen als etwa das Rund einer
Säule in einer Architektur, hat das Bild gar keine Verwandtschaft mit
Rafael. Es lebt in seiner eigenen und durch seine eigene Luft, eine Luft,
in der die eigene Koloristik nur einen Bestandteil unter vielen bildet.
Der Sechzigjährige, der dieses schuf, war vor Rafael genau so naiv
wie vor der Natur. Sein Kampf ging dahin, sich immer, beim Malen,
die Improvisation von neuem frisch zu erhalten, naiv zu sein, wie
er es in der ersten Bestürzung über das Wunder der Erscheinung, in
der ihn der schöpferische Funke in Brand setzte, gewesen war; oder
sich so naiv zu stellen; oder sich so naiv zu machen. Wenn er eine
Löwenjagd malte, etwas, das er so wenig gesehen hatte wie die Leiden
der Ophelia oder die Braut von Abydos oder die Griechin, das Grie-
chentum auf den Trümmern von Missolonghi, dann zwang er seine
Phantasie mit einem ungeheuren Aufgebot aller seiner Energien,
immer dies vor Augen zu haben, dieses Knäuel, das zu bändigen war
mit dem Spiel der Kurven, dieses Rollen der Bewegung, das sich,
um wirksam zu werden, fortsetzen mußte in der Ballung der Wolken,
dieses Flackernde der Lichter, das ebenso vom Schlagen der Tier-
schweife herkam wie vom Dahinfegen des Pinselstriches, dieses Leuch-
ten von Blau und Rot, von Silber und Gold, das aber nicht an den
Dingen haftet, sondern überall da sein mußte, das, wenn es die Farbe
eines roten Turbans bedeutete, so wenig mit dem Turban an sich
verwachsen sein durfte, wie mit dem rinnenden Blut aus der Wunde
im Pferdekörper; es mußte aussehen wie das Leuchten der Blumen
oder wie das Gleißen eines Rubins oder das Funkeln eines geschmol-
zenen Rubins. Mit dieser leidenschaftlichen und dieser gebändigten.
Phantasie verwandelt er alles und machte er auch das Unwahr-
scheinlichste noch glaubwürdig. Seine Tiger sind falsch, aber Tiger-
hafteres gibt es nicht, und sein Deckengemälde in der Galerie
d’Apollon des Louvre, an der Stelle, an der Le Brun für den Sonnen-
könig den Wagen des Sonnengottes hatte malen sollen, ist inmitten
seiner Umwelt von Gold und Pracht barocker als selbst Rubens an
dieser Stelle hätte malen können. Das Bild des Späteren fügt sich
nicht nur in die Barockdecke ein, sondern sein persönlicher Stil,
in keiner Einzelheit dem 17. Jahrhundert hier nahekommend, be-
herrscht den ganzen Saal mit gelassener Souveränität.
Die Meister der „Romantik“ Gericault und Delacroix
in ihm enthalten sind. Für die Kirche St. Sulpice schuf er ein Fresko,
die Vertreibung Heliodors, und es klingt wie eine Herausforderung
an Rafael, wenn man die Wahl des Themas vernimmt; und der lie-
gende Räuber hat ein Profil wie der bei Rafael. Aber sonst, abgesehen
von Einzelheiten die nicht schwerer wiegen als etwa das Rund einer
Säule in einer Architektur, hat das Bild gar keine Verwandtschaft mit
Rafael. Es lebt in seiner eigenen und durch seine eigene Luft, eine Luft,
in der die eigene Koloristik nur einen Bestandteil unter vielen bildet.
Der Sechzigjährige, der dieses schuf, war vor Rafael genau so naiv
wie vor der Natur. Sein Kampf ging dahin, sich immer, beim Malen,
die Improvisation von neuem frisch zu erhalten, naiv zu sein, wie
er es in der ersten Bestürzung über das Wunder der Erscheinung, in
der ihn der schöpferische Funke in Brand setzte, gewesen war; oder
sich so naiv zu stellen; oder sich so naiv zu machen. Wenn er eine
Löwenjagd malte, etwas, das er so wenig gesehen hatte wie die Leiden
der Ophelia oder die Braut von Abydos oder die Griechin, das Grie-
chentum auf den Trümmern von Missolonghi, dann zwang er seine
Phantasie mit einem ungeheuren Aufgebot aller seiner Energien,
immer dies vor Augen zu haben, dieses Knäuel, das zu bändigen war
mit dem Spiel der Kurven, dieses Rollen der Bewegung, das sich,
um wirksam zu werden, fortsetzen mußte in der Ballung der Wolken,
dieses Flackernde der Lichter, das ebenso vom Schlagen der Tier-
schweife herkam wie vom Dahinfegen des Pinselstriches, dieses Leuch-
ten von Blau und Rot, von Silber und Gold, das aber nicht an den
Dingen haftet, sondern überall da sein mußte, das, wenn es die Farbe
eines roten Turbans bedeutete, so wenig mit dem Turban an sich
verwachsen sein durfte, wie mit dem rinnenden Blut aus der Wunde
im Pferdekörper; es mußte aussehen wie das Leuchten der Blumen
oder wie das Gleißen eines Rubins oder das Funkeln eines geschmol-
zenen Rubins. Mit dieser leidenschaftlichen und dieser gebändigten.
Phantasie verwandelt er alles und machte er auch das Unwahr-
scheinlichste noch glaubwürdig. Seine Tiger sind falsch, aber Tiger-
hafteres gibt es nicht, und sein Deckengemälde in der Galerie
d’Apollon des Louvre, an der Stelle, an der Le Brun für den Sonnen-
könig den Wagen des Sonnengottes hatte malen sollen, ist inmitten
seiner Umwelt von Gold und Pracht barocker als selbst Rubens an
dieser Stelle hätte malen können. Das Bild des Späteren fügt sich
nicht nur in die Barockdecke ein, sondern sein persönlicher Stil,
in keiner Einzelheit dem 17. Jahrhundert hier nahekommend, be-
herrscht den ganzen Saal mit gelassener Souveränität.