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Edouard Manet

Manets Sehnsucht war immer die große, bedeutende Figur. Er
suchte interessante Charaktere. Erst spanisch, im Kostüm, dann,
wie im „Rouviere als Hamlet“, von der Bühne her, und schließlich
auch hier das Alltägliche. Die „Frau mit dem Papagei“ hat, bei aller
mondänen Eleganz, doch noch ein wenig Kostümiertes. Je freier und
natürlicher er sich in seinem durch ewige Anfeindung bis zum Pole-
mischen gesteigerten Unabhängigkeitsdrang entwickelte, um so
mehr verlangte es ihn nach starkem menschlichen Ausdruck. Da
begegnete ihm, im Jahre 1875, wo er in Holland war, zum zweiten
Male Frans Hals. Jetzt macht er eine Pause in seiner Entwicklung,
malt den „Bon Bock“, von dem Stevens boshaft sagte, er trinke Haar-
lemer Bier, und ruht sich etwas aus, bei blendender Malerei und
faszinierendem Ausdruck. Man findet einen Augenblick Manet nicht
wieder. Der Mann sitzt so holländisch eng im Raum, er sitzt so
courbethaft nah und drängt sich und seine Bonhommie ein wenig auf;
bis man in den schön gemalten Händen die Meisterhand wiederfindet
und begreift, daß solche Stilübung vielleicht nötig war, um dann den
„Desboutin“in ganzer Figur hinzustellen. Auch der einMontmartrois,
ein Typ, aber mit unendlicher Vornehmheit aufgefaßt, mit stiller,
warmer Gelassenheit gedeutet. Es ist ein ungewöhnliches Werk,
eine unerwartete Steigerung jener malerischen Art, die sich im
„Bon Bock“ ankündigt. In diesem „Artiste“ liegt eine mensch-
liche Tiefe, die Manet sonst selten zeigt. Das Bild muß sehr
ähnlich gewesen sein; man fühlt vor dieser elastischen Silhouette
und dieser Haltung mit den merkwürdig gestellten Beinen eine
sehr charakteristische, ganz sichere Gegenwart. Der Ausdruck
in dem nachdenklichen Männerkopf ist von einer hinreißenden
Innigkeit, von jener Feinheit und Zartheit des Gefühls, die oft
durch Blick und Ton einer flüchtigen Sekunde offenbar werden.
Aber auch ein ungeheurer Drang nach innerer Freiheit spricht
aus diesem Werk, das in seinem Verzicht auf schöne Farbe fast
asketisch wirkt. Alles ist Mittel, der stille Reichtum von Schwarz,
Weiß und Gelb ist zurückgedrängt, und nur der Geist der souve-
ränsten Malerei ist lebendig.
Wie jeder große Künstler empfängt Manet immer sein „Gesetz
vom Objekt“ und legt sich nie auf eine, wenn auch noch so glückliche
Formel fest. Ist er, der elegante Pariser von aristokratischer Allüre,
gegenüber diesem Typus vom Montmartre in seinem Vortrag derb
und fast ein wenig rüde, so wechselt er sofort die Hand, als es ihn reizt,
den anderen ungebundenen Typus des modernen Lebens zu malen,
 
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