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Die Impressionisten
melancholischen, auf Grau und Grün gestimmten Ton und einer
etwas schwermütigen Poesie der weiten Ebenen, kam er um 1860 zu
.Manet und den später so genannten Impressionisten in Beziehung,
und, obwohl zehn Jahre älter als Monet, ward er bald einer der eifrig-
sten Verfechter der neuen Lehre. Aber sein Landschaftsgefühl blieb
erdgebundener, er war nicht „nur Auge“, sondern auch Gemüt beim
Malen. Auch als er sich Anfang der achtziger Jahre mit den Theo-
rien und der Praxis des Neoimpressionismus eingelassen hatte und
auf der ersten Ausstellung dieser Gruppe, im Jahre 1882, mit fünf
Bildern von Segelbooten vertreten war, die sich von fünf Bildern
mit Segelbooten von Seurat gar nicht unterschieden, verlor er
seine Eigenart auf die Dauer nicht ganz. Einige seiner impressio-
nistischen Landschaften, die „Märzsonne“, eine auf Gelbgrün, Gelb
und Blau gestellte Vorfühlingslandschaft, enthält so viel Natur,
so viel natürliche starke Empfindung, wie sie im Umkreis dieser
Richtung selten ist. — So ruhig und gelassen er im Leben auch
scheinen mochte, so gütig, daß ihn nie jemand zornig sah, es steckte
ein Stück von Millet in ihm, und in seinen Figurenbildern, den Bil-
dern von Bauern und Bäuerinnen bei der Mühsal ihrer Arbeit, ist er
der Nachfolger Millets, moderner im Mittel, aber ebenso gefühlvoll
in der Anschauung und nicht minder sozial erregt. Nur kehrte er
von solchen Erregungen immer wieder zu der schönen Sinnenfreudig-
keit über die Herrlichkeit der Erde zurück und blieb auch im hohen
Alter noch jung genug, um immer wieder neuenSensationen zugänglich
zu sein. Die Städtebilder, die er in Rouen und in Paris aus den Fen-
stern malte, als ihm Krankheit das dauernde Arbeiten im Freien
verbot, bedeuten einen neuen Frühling seiner Kunst; er sieht die
Großstadt ebenso frisch, ebenso begeistert an, wie einst seine geliebten
Äcker und Wiesen. Durch Resignation zum Optimismus gelangt,
findet er die Schönheit überall, selbst am Boulevard (wenn man ihn
von oben sieht). An jenem, dem Impressionismus nie genug zu danken-
dem Prozeß, daß er die einst aus den Toren geflüchtete Land-
schaftskunst in die Großstadt zurückversetzte, von der Umgebung,
den Vororten, der Bannmeile und den Wällen immer mehr bis ins Herz
von Paris hinein, ist Pissarro im letzten Jahrzehnt seines Schaffens
mit am leidenschaftlichsten beteiligt. Er glaubte bis zuletzt, daß das
Leben überall schön sei und schön ist.
Wenn die Malerei des Impressionismus als Richtung der Kunst-
geschichte angehört, diese Bilder, Ausdruck schöpferischer Tempe-
ramente, werden schön sein, solange Kunst überhaupt Ausdruck und
Die Impressionisten
melancholischen, auf Grau und Grün gestimmten Ton und einer
etwas schwermütigen Poesie der weiten Ebenen, kam er um 1860 zu
.Manet und den später so genannten Impressionisten in Beziehung,
und, obwohl zehn Jahre älter als Monet, ward er bald einer der eifrig-
sten Verfechter der neuen Lehre. Aber sein Landschaftsgefühl blieb
erdgebundener, er war nicht „nur Auge“, sondern auch Gemüt beim
Malen. Auch als er sich Anfang der achtziger Jahre mit den Theo-
rien und der Praxis des Neoimpressionismus eingelassen hatte und
auf der ersten Ausstellung dieser Gruppe, im Jahre 1882, mit fünf
Bildern von Segelbooten vertreten war, die sich von fünf Bildern
mit Segelbooten von Seurat gar nicht unterschieden, verlor er
seine Eigenart auf die Dauer nicht ganz. Einige seiner impressio-
nistischen Landschaften, die „Märzsonne“, eine auf Gelbgrün, Gelb
und Blau gestellte Vorfühlingslandschaft, enthält so viel Natur,
so viel natürliche starke Empfindung, wie sie im Umkreis dieser
Richtung selten ist. — So ruhig und gelassen er im Leben auch
scheinen mochte, so gütig, daß ihn nie jemand zornig sah, es steckte
ein Stück von Millet in ihm, und in seinen Figurenbildern, den Bil-
dern von Bauern und Bäuerinnen bei der Mühsal ihrer Arbeit, ist er
der Nachfolger Millets, moderner im Mittel, aber ebenso gefühlvoll
in der Anschauung und nicht minder sozial erregt. Nur kehrte er
von solchen Erregungen immer wieder zu der schönen Sinnenfreudig-
keit über die Herrlichkeit der Erde zurück und blieb auch im hohen
Alter noch jung genug, um immer wieder neuenSensationen zugänglich
zu sein. Die Städtebilder, die er in Rouen und in Paris aus den Fen-
stern malte, als ihm Krankheit das dauernde Arbeiten im Freien
verbot, bedeuten einen neuen Frühling seiner Kunst; er sieht die
Großstadt ebenso frisch, ebenso begeistert an, wie einst seine geliebten
Äcker und Wiesen. Durch Resignation zum Optimismus gelangt,
findet er die Schönheit überall, selbst am Boulevard (wenn man ihn
von oben sieht). An jenem, dem Impressionismus nie genug zu danken-
dem Prozeß, daß er die einst aus den Toren geflüchtete Land-
schaftskunst in die Großstadt zurückversetzte, von der Umgebung,
den Vororten, der Bannmeile und den Wällen immer mehr bis ins Herz
von Paris hinein, ist Pissarro im letzten Jahrzehnt seines Schaffens
mit am leidenschaftlichsten beteiligt. Er glaubte bis zuletzt, daß das
Leben überall schön sei und schön ist.
Wenn die Malerei des Impressionismus als Richtung der Kunst-
geschichte angehört, diese Bilder, Ausdruck schöpferischer Tempe-
ramente, werden schön sein, solange Kunst überhaupt Ausdruck und