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Cezanne

nicht malen, was man zu sehen glaubt, sondern, was man sieht.“
Aber das Problem kompliziert sich. Dieser Maler weiß so unendlich
viel, hat durch leidenschaftliche Beobachtung der Natur und durch
ebenso leidenschaftliches Studium der alten Meister im Louvre so
unendlich viele Erfahrungen über das Sichtbare in seiner Augenphan-
tasie und seinem Erinnerungsblick aufeinander und übereinander-
gehäuft, daß es sehr schwer ist, zu sagen, wo das auf hört, was er
wirklich, im Augenblicke, sah und wo das anfängt, was er mit dieser
Augenphantasie zu sehen glaubte.
Das eine aber besteht: Seine Landschaften sind wahrer als die noch
so wahren der Impressionisten; weil sie unabhängig sind, unabhängig
von der zufälligen Beleuchtung, von dem Reiz des Vorübergehenden
in Licht und Schatten, von der Schönheit und dem Zauber des Augen-
blicks, der nicht wiederkehrt. Man sieht bei Cezanne in unendliche
Räume der Welt, aber man bleibt in gewisser Entfernung, weil diese
Welt feststeht, weil ihre Formen nicht durcheinanderschwirren, son-
dern, wenn auch ohne Linien, gegeneinander abgegrenzt sind. „Es
gibt keine Linie, es gibt keine Modellierung, es gibt nur Kontraste.
Aber diese Kontraste sind nicht Schwarz und Weiß sondern Farben-
bewegung. Modellierung ist nichts als Richtigkeit in der Beziehung
der Töne untereinander. Sind sie richtig nebeneinander gesetzt, und
sind sie alle da, so modelliert sich das Bild von selbst. Zeichnung und
Farbe sind keine Gegensätze, je harmonischer die Farbe, um so
präziser kommt die Form heraus; hat die Farbe ihren höchsten Grad
von Reichtum, so ist auch die Form auf dem Gipfel ihrer Fülle.“
Er baut eine bunte Welt von Tönen in seinen Landschaften auf,
aber es ist eine schattenlose Welt. Die Wahrheit, daß Farbe nichts
ist als Licht, ward von keinem Künstler vor Cezanne so vollkommen
verwirklicht. Seine Landschaften schwingen in der Fülle und dem
Nuancenreichtum des Tons, wie die silbergrauen Corots, sind aber
bunt, farbenreich und aus allen Farben des Regenbogens zusammen-
gesetzt. Nur, daß ihre Buntheit sich nicht auf den ersten Blick wie
etwas Äußerliches enthüllt. Sein Himmel wölbt sich tiefblau über
dem Rostrot der ausgesengten, schönen, provenzalischen Erde und
dem Smaragdgrün der Bäume, und an dem Blau sehen wir, daß
die Sonne scheint. Aber dieses Blau ist, wie das Wiesengrün Dela-
croix’, nur auf leichtere Weise, aus zahllosen Tönen gemischt, nicht
nur aus blauen, sondern ganz zart, auch noch aus violetten und flieder-
farbenen, grünlichen und gelblichen, rosa und orangerosa und orange-
roten Nuancen, kurz, aus allen Brechungen des irisierenden Regen-
 
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