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Cezanne

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bogens. Und so mit dem Grün der Wälder und dem Rostrot der
Felder. Die Töne sind tatsächlich immer alle da, auch ohne daß
es unser Auge gleich bemerkt. Er kämpfte manchmal vor dem Motiv,
tagelang, wochenlang, scheinbar nichtstuend, mit der Erscheinung,
bis er dann plötzlich den hauchzarten, rosa Reflex erhascht hatte,
den er behutsam, ganz dünn, neben einen graublauen Strich in den
Himmel malte. Das Gewebe der farbigen Töne stand so fest und
zugleich so leicht schwebend vor seinem inneren Auge, daß er immer
fürchtete, mit einem zu dichten, zu intensiven Ton es zu zerreisen.
Deshalb suchte er so vorsichtig und fanatisch in der Natur, mit jedem
Pinselstrich den richtigen Ton zu finden, richtig sowohl für die Über-
einstimmung mit der betreffenden Einzelheit der Wirklichkeit,
als auch mit Beziehung auf sämtliche anderen, im Bilde schon vor-
handenen Töne. Denn nur so kann man das Wesentliche, die Luft,
malen — und Raum ist Luft. Vor jeder Landschaft von Cezanne weiß
man, daß es farbige Luftsperspektive vorher noch nie gegeben hatte.
Man muß ihn als Landschafter ansehen, wie viele Dinge er auch
malte, seine Anschauung ist landschaftlich, da er um alle Dinge herum
immer die Luft malt. Der große Prozeß in der Malerei des 19. Jahr-
hunderts, die Dinge selbst, zugunsten ihres Scheins und ihrer Er-
scheinungskraft, langsam zu vernichten, ward von Cezanne zu seinen
äußersten Folgerungen geführt. Er sagte einmal: „Alles in der Natur
modelliert sich den geometrischen Formen der Sphäre, des Konus
und des Zylinders gemäß. Man muß lernen, nach diesen einfachen
Figuren zu malen; späterhin kann man dann alles machen, was man
will. In der Malerei muß jede Seite eines Gegenstandes nach einem
Mittelpunkt hinführen, wie es in der Natur geschieht.“ — Dieser Sinn
für das Abstrakte der Erscheinung, für das einfach Gesetzmäßige,
für die heimliche Urform jedes Dinges, tötete in seiner Malerei den
Reiz des Zufälligen, des Soundso-Aussehens eines Dinges, der
sogenannten Wirklichkeit. Ein Haus in der Landschaft hat für ihn
nur so viel gegenständliche Bedeutung wie ihm als kubischer Be-
standteil und als Träger von soundso viel Farbtönen zukommt. Was
das Haus sonst noch hat, interessiert Cezanne in aller Unschuld gar
nicht. Aber für diesen Mangel an Reiz des Gegenständlichen hat er
die Welt entschädigt durch das Baumeisterliche, das auf eben dieser
Anschauung, auf eben dieser Gesinnung beruht. Weil er die Urform
der Dinge malte, aber nicht geometrisch abstrakt, sondern eingehüllt
in allen farbigen Zauber der Luft, stehen die Dinge seiner Welt so
fest. Das Einzelne mag wirken wie es will. Das Ganze aber hat eine
 
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