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Wemhoff, Matthias <Prof. Dr.>
Das Damenstift Herford: die archäologischen Ergebnisse zur Geschichte der Profan- und Sakralbauten seit dem späten 8. Jahrhundert (Band 1): Text — Bonn, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.29808#0229
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Anthropologische Untersuchungen an den Skelettresten
des ersten christlichen Friedhofs in Herford

Erika Gaida

Bei Ausgrabungsarbeiten auf dem Rathausplatz von
Herford wurden im Jahre 1988 die Reste eines karolin-
gischen Friedhofs aus dem 8. und 9. Jahrhundert frei-
gelegt.

Es handelt sich um einen Friedhof, in dem die Gräber in
West-Ost-Richtung angelegt worden sind. Die Toten
wurden mit gestreckten Beinen in Rückenlage bestattet,
den Kopf im Westen mit Blick nach Osten. Für das er-
grabene Friedhofsareal ist hinsichtlich der Bestattung
der Geschlechter und der Anlage der Kindergräber
keine besondere Belegordnung festzustellen.

Die Anzahl der Fundstellen beträgt 77, davon sind vier
allerdings nicht eindeutig als Gräber zu identifizieren.
Nur knapp zwei Drittel der Gräber enthielten Skelettre-
ste, die zur osteologisch-anthropologischen Bearbeitung
dem Institut für Anthropologie der Universität Mainz
überlassen wurden.

I. Material und Methoden

Der Erhaltungszustand der Skelette ist insgesamt
schlecht. Es liegt kein vollständig erhaltenes Indivi-
duum vor. Für die metrische Erfassung standen Schädel
von 27 und postcraniale Skelettreste von 46 Individuen
zur Verfügung. Von den Schädeln konnten nur drei an-
nähernd vollständig bearbeitet werden, da die übrigen
zum Teil erhebliche postmortale Deformationen auf-
weisen, die eine metrische Analyse nur für bestimmte
Bereiche zulassen. Der Erhaltungszustand der postcra-
nialen Skeletteile ist durch mittelalterliche und moderne
Störungen des Friedhofareals und durch Verwitterung
sehr unterschiedlich, so daß von vielen Individuen nur
wenige Daten erhoben werden konnten.

Die Altersbestimmung wurde nach den "Empfehlungen
der Arbeitsgruppe europäischer Anthropologen" (-
EAA, in: Ferembach et al. 1979) durchgeführt. Das
Alter der Erwachsenen wurde mit der polysymptomati-
schen Methode von Acsadi u. Nemeskeri (1970) be-
stimmt. Zur Beurteilung wurden die Struktur der Facies
symphyseos ossis pubis, der Obliterationszustand der
endocranialen Schädelnähte und die Spongiosastruktu-
ren der proximalen Humerus- und Femurepiphysen
herangezogen. Als weitere Kriterien kamen der Oblite-
rationszustand der ektocranialen Schädelnähte (Rösing
1977) und der Zahnstatus hinzu. Die Altersdiagnose ju-
gendlicher Individuen und Kinder stützt sich auf das
Zahnentwicklungsschema von Ubelaker (1978) und
die Epiphysenverknöcherung (Wolf-Heidegger 1972).

Die Geschlechtsbestimmung erfolgte anhand der ge-
schlechtsdifferenzierenden Merkmale an Schädel und
Becken mit Hilfe der Beurteilungskriterien in den Emp-
fehlungen der EAA.

Für die metrische Erfassung des Schädels wurden 52
Maße gewählt und 13 Indices berechnet, entsprechend
für das postcraniale Skelett 45 Maße und vier Indices.
Die Schätzung der Körperhöhe erfolgte für die Männer
nach Breitinger (1937, zitiert nach Bach 1965), für
die Frauen nach BACH (1965). Die Beurteilung des
Konstitutionstypus wurde nach ULLRICH (1966) vorge-
nommen.

Anatomische Besonderheiten und pathologische Be-
funde werden in den Einzelbeschreibungen aufgeführt.
Die Ergebnisse der paläopathologischen Diagnose sind
in einer zusammenfassenden Betrachtung dargelegt.

II. Untersuchungsergebnisse

Ein wesentliches Ziel der Analyse von osteologisch-
anthropologisch untersuchtem Fundmaterial ist die Re-
konstruktion historischer und prähistorischer Bevölke-
rungen mit Hilfe von demographischen Methoden und
Parametern, die Aufschluß geben über Größe und Zu-
sammensetzung einer Population. Dazu ist es erforder-
lich, eine für die zu untersuchende Bevölkerung reprä-
sentative Stichprobe auszuwählen. Diese Voraussetzung
ist für das Fundmaterial vom Herforder Rathausplatz
nicht gegeben, da nur ein kleiner Ausschnitt des ur-
sprünglichen Friedhofs ergraben wurde und der Umfang
der Serie sehr klein ist, so daß die Ergebnisse der an-
thropologischen Begutachtung keine ausreichende
Grundlage für eine demographische Analyse bilden.
Trotz dieser Einschränkung sollen aber der besseren
Übersichtlichkeit und Einordnung wegen die Ergebnisse
in systematischer Form dargestellt und einer verglei-
chenden Betrachtung mit anderen zeitgleichen Serien
unterzogen werden.

II.l Geschlechterverhältnis

In Tabelle 1 ist das Geschlechterverhältnis der erwach-
senen Individuen und die Anzahl der Kinder und Ju-
gendliche wiedergegeben. Von den 41 erwachsenen Be-
statteten sind 15 männlichen und 14 weiblichen Ge-
schlechts. Ein Individuum wurde als "nicht sicher
männlich" eingestuft, drei Individuen als "nicht sicher
weiblich". In acht Fällen konnte aufgrund des schlech-
 
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