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DIEHOLZSCHNITTE DES HAUPTMEISTERS (DÜRER)

s ist nicht angängig, 73 Holzsdmitte ausnahmslos zu wiirdigen, die
kiinstlerische Leistung schlechthin zum leitenden Gesichtspunkt der Aus-
wahl zu machen, empfiehlt sich auch nicht. Die Gefahr subjektiver Wer-
tung ist zu groß, und das interessante Material, das aus weniger gut
gelungenen oder gar mißglücktenHolzschnitten besteht, wiirde ignoriert
werden. Aus dieser Verlegenheit hilft uns eine Beobachtung, die, soviel
ich sehe, noch nicht gemacht worden ist.

Im Mittelpunkt der Holzschnitte des Hauptmeisters steht wie in allen vorhergehenden
Buchbildern, soweit es sich nicht um botanische Werke, Reisebeschreibungen und ähnliches
handelt, die menschliche Figur, hier der Mensch als Narr. Er erscheint allein, zu zweit und
zu dritt im Bilde. Der Reißer hat seine Illustrationen auf dieser einfachen Grundlage
komponiert. Jede dieser Gruppen von ein-, zwei- und dreifigurigen Holzschnitten ist recht
umfangreich. Die Bilder mit drei Figuren werden durch dreigeteilte, in denen zwei Ge-
stalten zusammen mit einem Tier auftreten, ergänzt. Den drei Gruppen steht die der
mehr- und vielfigurigen Illustrationen gegeniiber. Den vorhergehenden Darlegungen ist
schon zu entnehmen, daß sich unter den letzteren öfters Schöpfungen finden, in denen
der Einklang der kiinstlerischen Absichten mit den Leistungen der Formschneider nicht so
befriedigend ist, wie in solchen mit ein, zwei und drei Figuren. Durch Vergleich aller
einfigurigen — und ebenso der zwei- und dreifigurigen — untereinander ergibt sich ein
sicherer Maßstab zur Beurteilung des schlechthin und des weniger Vollkommenen.

Einfigurige

Wo immer man auch unter den Holzschnitten des jahrhunderts Umschau hält, nirgends
mehr wird man Menschen vom Schlage des Gänse-, Krähen- und Dudelsack-
Narren (Taf. 1—3)19 entdecken. Es sind wohlgebildete, kräftige Burschen, die die musku-
lösen Gliedmaßen von Athleten haben und sich mit der fedemden Elastizität von Gauklem
bewegen. In Richtigkeit und Körperlichkeit der Darstellung hatten die Bilder damals nicht
ihresgleichen, auch in Gemälden und Stichen nicht, in denen sich fortgeschrittenere Zeichner
als im Holzschnitt betätigten. Das fahrende Volk wurde vom Reißer staunenswert scharf-
äugig 4>eobachtet imd gestaltet. Mit akrobatenhafter Gelenkigkeit setzen sie die Füße,

19 Der Gänse-Narr sdiaut einer abfliegenden Gans nach. Er hat draußen nichts gelernt, sondem ist wie
eine Gans, die ausgeflogen ist und mit demselben „Gack-gack“-Geschnatter zurückkommt. Der Krähen-
Narr verschiebt alles auf den kommenden Tag. Er krächzt „cras-cras“ (morgen) wie eine Krähe. Der
dritte verachtet über seinem Dudelsack Laute und Harfe, die zu seinen Füßen liegen.

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