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EINLEITUNG

enn der Kunstwissenschaft des 19. Jahrhunderts irgendein Verdienst zu-
gesprochen werden darf, dann ist es das, den Reiz und die Bedeutung
der Frühzeiten der Kunst und der Anfänge der großen Kiinstler in
helleres Licht geriickt zu haben. Im Jahre 1892 wurde auch Diirers frii-
hester Holzschnitt, den er während seines Aufenthaltes in Basel 1491
oder 1492 gerissen hatte, der bekannte hl. Hieronymus samt dem zu-
gehörigen Holzstock wieder zutage gefördert1. Mit ihm brachte sein Entdecker, Daniel
Burckhardt, iiber 250 Buchillustrationen in Verbindung, die oft als Werke Diirers diskutiert
worden sind. Nach fast einmiitiger Zustimmung zu Burckhardts These in iiber einem
Dutzend kritischer Äußerungen entwickelte sich ein paar Jahre darauf, ausgelöst durch
W. Weisbach, eine langwährende Auseinandersetzung iiber ihre Richtiglceit. Mit Weisbach
waren nunmehr viele geneigt, in dem Autor der Buchillustrationen einen selbständigen
„Meister der Bergmann’schen Offizin“ zu sehen. Diirers Urheberschaft an dem von Burck-
hardt entdeckten Holzschnitt, seine Tätigkeit in Basel 1491 oder 1492 fiir Verleger konnte
freilich nicht mehr geleugnet werden.

Leider sind die einzelnen Glieder der Baseler Gruppe von der Forschung sehr ungleich
behandelt worden. Das Narrenschiff, eines der beriihmtesten Biicher, die jemals erschienen
sind, der gewichtigste Zyldus von Baseler Illustrationen ist niemals Gegenstand einer ein-
gehenden kunstgeschichtlichen Untersuchung gewesen. Die Baseler D. Burckhardt und
H. Koegler haben sie in Aussicht gestellt und nicht geliefert. Der Letztere hat wenigstens die
vorzügliche Faksimileausgabe ohne Kommentar veröffentlicht.

Als ich mich vor mehr als 10 Jahren entschlossen hatte, die Frage der Baseler Illustrationen
von Grund auf zu studieren, habe ich mich zunächst unabhängig von der wissenschaftlichen
Literatur mit dem Narrenschiff beschäftigt. Es hat sich immer als vorteilhaft erwiesen,
von den Hauptwerken auszugehen. „An ihren Friichten sollt Ihr sie erkennen.“ Bald
wurde ich gewahr, daß dem köstlichen Werke allerhand Aufschliisse zu entlocken seien,
von denen ich in der Literatur nichts gelesen zu haben meinte. Ich war schon eine Strecke
vorangekommen, als ich mich an ihr Studium machte. Was iiber die Holzschnitte des
Narrenschiffs zu lesen war, ging selten iiber mehr oder weniger allgemein gehaltene
Lobeserhebungen hinaus. Meist ist ihr wahrer Wert nicht gewiirdigt worden, weil im
Mittelpunkt der kunsthistorischen Auseinandersetzungen nur die von Burckhardt in den
Vordergrund geschobenen Illustrationen zu einer Ausgabe der Komödien des Terenz,
einzigartige Überbleibsel eines mittelalterlichen Werkstattbetriebes, standen. Wie groß

1 Fast 100 Jahre zuvor sind vom Vorstand der Baseler Universitäts-Bibliothek Neudracke von dem Holz-
stock gemadit worden, die aber nidit beaditet, gesdiweige erörtert worden sind.

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