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Wischermann, Heinfried; Wischermann, Heinfried [Hrsg.]
Berichte und Forschungen zur Kunstgeschichte (Band 3): Fonthill Abbey: Studien zur profanen Neugotik Englands im 18. Jh. — Freiburg i. Br.: Selbstverl., 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.57206#0242
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2J4

tiker. Wie Thomas Tresham fühlte sich Ensor gekreuzigt,
aber nicht für seinen Glauben, sondern für seine Kunst.
Beckford blieb nicht der einzige Amateurarchitekt, der
sich mit baukünstlerischen Mitteln über sich selbst äu-
ßerte. Der Bildhauer Antonio Canova (1757-1822) brauchte
die Hilfe des Fachmanns Giannantonio Selva, um sich gegen
Ende seines lebens für eine Zurücksetzung zu entschädigen
und einer Selbsteinschätzung Gestalt zu geben. Canova
äußerte sich allerdings nicht negativ über sich selbst -
darin bli/ebt Beckford einzigartig. Canova legte 1819 am
Rand seines Geburtsortes Possagno, in der Achse seines
Ateliers, den Grundstein zum TEMPIO CANOVIANO (Abb.263 )921
Das angeblich seiner Heimatgemeinde als neue Pfarrkirche
gestiftete Gotteshaus ist nicht nur formal eine 'Kopie'
des römischen Pantheons, sondern - was man bisher übersah -
auch, ja zuallererst, inhaltlich! Der Bau ist klassizi-
stisch, weil das Pantheon Hadrians aus klassischer Zeit
war, nicht weil Canova ein Klassizist war. Wäre das
Pantheon ein karolingischer Zentralbau gewesen, Canova
hätte 'neo-karolingisch' gebaut. Denn er wollte nicht
922)
eine von vielen Pantheon-Variationen J ' von seinem Geld
bezahlen. Entscheidend für die Wahl des Vorbildes war
nicht dessen Form, sondern eine Aufgabe, die das groß-
artigste Zeugnis römischer Baukunst seit 152o hatte. Mit
Raffaels Bestattung war es zum Begräbnisplatz großer
923)
Künstler geworden . Und Canova hatte sich berechtigte
Hoffnungen gemacht, nach Raffael, Peruzzi, Taddeo Zuccari
u.a. in einer seiner Kapellen bestattet zu werden. Die
Affäre um seine monumentale Statue REDIGIO hatte 1816
offenkundig gemacht, daß sich diese Erwartung nicht er-
füllen würde. Als 6ojähriger plante Canova daraufhin sein
eigenes Pantheon, die Trinitätskirche in Possagno.
Wie Fonthill Abbey ist der TEMPIO CANOVIANO ein architek-
tonischer Zeichenträger ungewöhnlichen Ranges, ein monumen-
tales Beispiel für die neuen, in noch nie dagewesener Weise
persönlichkeitsbezogenen Aufgaben, die der Architektur in
den Jahrzehnten nach der Revolution zugewiesen wurden.
 
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