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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Groos, Karl: Das ästhetische Miterleben und die Empfindungen aus des Körperinneren
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0184
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KARL GROOS.

jenes mit langsamem Einatmen verbundene Experiment, von dem ich
im Anfang des zweiten Teiles sprach, trotz der ungünstigen Versuchs-
bedingungen zu einem immerhin überraschenden Ergebnis führen kann.
Nur so wird die gleichfalls schon erwähnte Tatsache erklärbar, daß
manche Personen eine schöne Farbe mit dem Atem gleichsam ein-
saugen, um sie »im Innersten« zu genießen. Und aus denselben
Gründen wird man es auch begreifen können, daß sich die Unästhe-
tische Nacherzeugung der Form, die unserem Natur- und Kunstgenuß
den Charakter des Miterlebens verleiht, mit Vorliebe dieses eigen-
artigen Mittels bedient.
Die Selbstversetzung in das Objekt. — Es war meine Absicht,
eine bestimmte Seite des ästhetischen Genießens, nämlich das innere
Miterleben, unter ausdrücklicher Beschränkung auf den Standpunkt
der physiologischen Psychologie zu erörtern. Diese Beschränkung
hat unter anderem die Folge gehabt, daß in unseren Betrachtungen
nirgends von den tatsächlichen oder zu fordernden Eigenschaften der
betrachteten Gegenstände die Rede gewesen ist. Ich möchte zum
Schlüsse, ohne jenen Standpunkt zu verlassen, doch noch auf eine
Eigentümlichkeit der ästhetischen Gegenstände eingehen, die von der
Analyse des Miterlebens zu den Problemen des ästhetischen Objekts
hinüberlenkt.
Eine solche Beziehung tritt bei der psychologischen Zergliederung
des miterlebenden Genießens in der Tat hervor. Wir haben nämlich
beim Miterleben häufig den bisher noch nicht berücksichtigten Ein-
druck, als ob unser eigenes Ich sich während dieser Tätigkeit in dem
Objekt befände. Betrachten wir einen Gegenstand, sagt Robert
Vischer, so können wir uns ganz folgsam an die Stelle seines inneren
Aufbaues setzen, »ungefähr wie die Moosjäger sich in einen Jagd-
schirm verkriechen, um den Wildenten ungesehen beizukommen«.
Diese Selbstversetzung erklärt sich von unserem Standpunkte aus
wohl am einfachsten durch eine schwache, aber doch nicht unmerk-
liche »Lokalisierung« unserer gefühlsbetonten Organempfindungen
während der Betrachtung des ästhetischen Objekts 1). Ich möchte das
durch eine Analogie veranschaulichen. Wenn wir einen dicht vor
uns befindlichen weißen Kreis auf schwarzem Grund eine Weile starr
fixieren, so haben wir bekanntlich hinterher ein deutliches subjektives
»Nachbild« des Kreises. Dieses Nachbild hat aber selbst keinen fest
bestimmten Ort und heftet sich eben darum beliebigen Körpern an.
Wenden wir z. B. den Blick seitwärts nach der Wand, so scheint es
b Vgl. meinen Aufsatz über die Ästhetik in der Kuno Fischer-Festschrift. —
Über die »unbestimmte Lokalisation« vieler Organempfindungen siehe Meumann,
Arch. f. d. ges. Psychol. IX, 57 f.
 
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