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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Prinzhorn, Hans: Gottfried Sempers ästhetische Grundanschauungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0216
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HANS PRINZHORN.

Recht haben, eine durchaus eigenartige Architektur zu verlangen, als
die Menschen der Renaissance, die doch mit Bewußtsein besonders
auf die römische Antike zurückgriffen. »Wir sollen uns bestreben,
mit männlicher Reife des Wissens genug Unbefangenheit, Freiheit und
Phantasie zu verbinden, um die Aufgabe, die vorliegt, mit Selbständig-
keit, aber auch mit Berücksichtigung des Vorausgegangenen genügend
zu lösen«, sagt er 1846 in einem kleinen Aufsatz (Rombergs Bau-
zeitung 1846). Diese Forderung hat er selbst durchaus erfüllt. Nur
ein Architekt kann im 19. Jahrhundert Semper zur Seite gestellt
werden. Das ist Friedrich Schinkel, der ihn in mancher Beziehung
auch überragt.
ln dieser praktischen und theoretischen Förderung der Kunst
seiner Zeit erschöpft sich aber Sempers Bedeutung nicht entfernt.
Er hat auch für die Archäologie außerordentlich Wertvolles geleistet.
Einerseits als Vorkämpfer in dem Streit um die Polychromie der
Antike, den er durch seine erste Schriftx) nach einer längeren Reise
durch Griechenland und Italien entfachte. Haben sich auch seine An-
sichten über die Verwendung der Polychromie, die er für alle Bau-
glieder und für die gesamte Plastik annahm, vor der neueren Forschung
nicht im vollen Umfange behaupten können, so bleibt ihm doch das
Verdienst, den entscheidenden Anstoß zu einer neuen Betrachtungs-
weise der Antike gegeben zu haben. Von den archäologischen Einzel-
untersuchungen sind in den »Kleinen Schriften«* 2) einige wiedergegeben,
die zum Teil vorher in Zeitschriften erschienen waren. Sie zeugen
sämtlich von strenger wissenschaftlicher Schulung. Ein gewaltiges
archäologisches Wissen ist in dem Hauptwerk »Der Stil in den tech-
nischen und tektonischen Künsten« enthalten und vor allem groß-
zügig verarbeitet. Bedeutende Archäologen haben bekannt, für ihre
wissenschaftliche Methode starke und nachhaltige Anregung von
Semper erhalten zu haben. So Heinrich Brunn, wie Hans Semper
in der Biographie seines Vaters mitteilt. So Adolf Furtwängler, der
dem Verfasser einmal sagte, der »Stil« habe ihn beim ersten Lesen
geradezu berauscht und lange Zeit ganz gefangen gehalten.
dem Text: »Das Kgl. Hoftheater zu Dresden«, Dresden 1S49. In dieser Schrift
finden sich die Grundgedanken der gegenwärtigen Theaterreformbewegung, die
freilich zum Teil schon auf Schinkel zurückgehen, klar und scharf ausgesprochen.
') Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten.
Altona 1834. (Abgedruckt in den »Kleinen Schriften«.)
2) Kleine Schriften von Gottfried Semper. Herausgegeben von Manfred und
Max Semper, Berlin und Stuttgart 1884: Entdeckung alter Farbenreste an der
Trajanssäule. Über das Erechtheum. Über die Erymata des Parthenon. Die neben
den Propyläen aufgefundenen Inschrifttafeln. Die Restauration des tuskischeu
Tempels. Bemerkungen zu des M. Vitruvius Pollio zehn Büchern der Baukunst.
 
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