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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0274
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270

BEMERKUNGEN.

Am 10. November sprach Herr Dessoir über »Musikverständnis und Musik-
genuß«. Die Untersuchung ging davon aus, daß es ein Wissen um die Musik gibt,
das zum Genuß nichts beiträgt, und ebenso auch einen an Musik geknüpften Genuß,
der mit dem Verständnis nichts zu tun hat. Der auf den Gegenstand und seinen
Wert gerichtete Genuß erfährt durch das Verständnis zwar keine Intensitätserhöhung,
wohl aber eine Qualitätsveränderung, denn das Verständnis erleichtert die vom
musikalischen Objekt geforderten einheitlichen Zusammenfassungen und unterschei-
denden Trennungen. Auf dieser Grundlage kommt ein Verstehen und Genießen
des in der Musik verborgenen seelischen Gehaltes zu stände und zwar in der Form
einer besonderen Art geistiger Durchdringung, die näher zergliedert wurde. In der
sich anschließenden Besprechung wurden fast alle Hauptfragen der Musikästhetik
gestreift und von sehr verschiedenen Auffassungen her beleuchtet.
Die letzte Sitzung des Jahres 1908 fand am 15. Dezember statt. In ihr be-
handelte Herr Herr mann die moderne Behauptung, daß die Kritik eine Kunst sei.
Kritik, so sagt man, habe die Aufgabe, das Wesen des einzelnen Kunstwerks fest-
zustellen, die Tätigkeit des Kritikers sei also durchaus praktischer Art etwa wie die
Leistung des Arztes. In der Tat wird für Therapie und Kritik eine gewisse schöpfe-
rische Kraft der Seele notwendig, die man wohl »Kunst« nennen mag, aber unter
Verwendung eines älteren Gebrauchs des Wortes und keinesfalls in dem Sinn, in dem
wir Musik, Poesie u. s. w. als Künste bezeichnen; eine seelische Kraft vielmehr, die in
der Kunst und in der Wissenschaft, besonders auch in der Philosophie gleicherweise
zur Anwendung kommt. — Noch in einem anderen Sinne wurde neuerdings die
Kritik für eine Kunst erklärt. Der moderne Impressionismus begann damit, zunächst
die Nichtwissenschaftlichkeit der Kritik zu betonen: der Kritiker spreche anläßlich
des Kunstwerkes eigentlich immer nur von sich selbst. Über diesen Standpunkt
hinaus aber wollen nun einige Berufskritiker, aus der Not eine Tugend machend,
die Nichtwissenschaftlichkeit geradezu mit Kunst identifizieren. Der Vortragende
versuchte, eine solche Verwechselung aus Eigentümlichkeiten modernster Art und
Kunst zu erklären: so aus der Überschätzung des Impressionismus für die Kunst
im allgemeinen, aus der Neigung so vieler Künstler von heute, Kunst aus Kunst zu
machen und so fort. Ein neues Kunstwerk könne wohl auf solche Art geschaffen
werden — eine kritische Leistung stelle das aber nicht dar: die Aufgabe der Kritik,
praktische Dinge zu leisten, widerspreche einem Grundzuge aller Kunst, der Zweck-
losigkeit ihrer Gebilde — Die Diskussion bezog sich teils auf psychologische,
teils auf methodische Fragen, die mit dem Gegenstand des Vortrages in Verbin-
dung stehen.
Über die Tätigkeit der Vereinigung in diesem Jahre wird unsere Zeitschrift zu
Beginn des nächsten Jahres berichten.
 
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