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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0277
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BESPRECHUNGEN.

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und sozusagen »erfreuliche« Einheit ist ihre Zugehörigkeit zu dem ästhetischen Wert
als Prinzip der »Identität als Übereinstimmung« durchsichtig dargelegt — wahrlich
eine notwendige Erweiterung der idealistischen Philosophie, welche manchen Ge-
bieten nur eine grob eudämonistische Deutung zugestand, die dem Gefühl jeder
differenzierten Persönlichkeit Hohn sprach.
Münsterbergs Unmittelbarkeitsstandpunkt kommt nun schon in dem Einheits-
werte, wie er sich in der Naturharmonie ausdrückt, zur Geltung. Die Theorie der
Einfühlung und Beseelung zur Erklärung der Schönheit der Natur geht bereits von
dem entseelten physischen Objekt aus, in das der Psychologe dann erklärend das
psychische Gefühl hineinverlegt. Dies ist eine erlebnisfremde Voraussetzung. Haben
wir denn im Erlebnis die Welt schon in Physisches und Psychisches gespalten?
Davon kann nicht die Rede sein. Uns tritt »im wirklichen Erlebnis das Schöne
mit dem ganzen Reichtum seines Strebens und Fiihlens und Wollens entgegen«.
Das Nachfühlen der im Schönen an uns herantretenden Wollungen im wogenden
Meer und den trotzig steigenden Felsen bedeutet ein wirkliches Grundverhält-
nis. — Es sei nicht verhohlen, daß Münsterberg zur Illustrierung dieses Grund-
verhältnisses vielfach zu anthropomorphen Hypostasierungen oder zu rein lyrischer
Personifikation der Dinge gelangt, wie denn der »Wille« ihm den Ausdruck jeder
Stellungnahme bedeutet, die zwischen Objekt und Mensch außerhalb des streng
begrifflichen Kreises auftritt. Daß aber die ästhetisch gewertete Natur für uns kein
Ding »da draußen« ist, daß der Schwan im Weiher, dessen ausdrucksvolle Linien
wir erleben, kein naturwissenschaftliches Objekt ist, daß eine grundsätzlich
andere Beziehung als zum theoretischen Objekt in dieser Verschmelzung und
dadurch geschaffenen Einheit im Objekt und vom Objekt mit uns stattfindet, das
bleibt trotzdem bestehen. Diese erlebte Einheit, wie sie sich auch am Kinde so
prägnant im Verhältnis zu seiner Umgebung darstellt, hat in der Tat weder mit
dem strengen Objektbegriff noch mit nachträglicher »Einfühlung« etwas zu tun.
Die ästhetische Einheit im Objekt ist weder die physikalische noch die psycho-
logische Einheit. Es ist eine Gleichrichtung in den Teilen des ästhetischen Objekts,
die wir als Einheit erleben, und diese Harmonie (sie braucht keine »sanfte Har-
monie« zu sein!) ist uns in einer Weise als Einheit erlebbar, die es zur Einheit
mit uns verschmilzt.
Wir erleben eine Identität, die einen übereinstimmenden Zusammenhang schafft
und somit wertvoll ist. Dies setzt voraus, daß stets eine Mannigfaltigkeit zur Ein-
heit gelangt; bloßes Miterleben des Naturwollens ist nicht schon ästhetisch. Innere
Übereinstimmung der nachfühlbaren Dingwollungen garantiert uns also erst auf
ästhetischem Gebiet eine in sich unabhängige überpersönliche Welt. Die Dinge so
nachzuerleben, wie ihre eigene Einheit es fordert, ist aber nur möglich, wenn unser
persönliches Begehren ausscheidet — obwohl die Schönheit kein Gegenstand »willens-
freier Betrachtung« ist; es handelt sich nur um kein persönliches Willensziel. Dies
ist der Schlüssel zur »interesselosen Anschauung«. Diesem Zweck dienen nun in
der Kunst in verstärktem Maße alle Faktoren, die das Kunstwerk aus der Wirklich-
keit herausheben. Damit hat das Kunstwerk das Prae und die Existenzberechtigung
gegenüber der schönen Natur, in der weder die Fäden zur theoretischen wirklichen
Welt noch zum Wollen und Begehren so völlig abgeschnitten sein können. Zu-
gleich kann in der Kunst die Selbstübereinstimmung in weit prägnanterer Weise
herausgearbeitet werden als in der Natur — also Steigerung in Bezug auf den
ästhetischen Wert.
Münsterberg wendet sich scharf gegen den Begriff des Scheins. Er ist irre-
führend, denn es klingt so, als ob damit ein »Daseinswert« vom Schönen bean-
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. IV. IS
 
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