BEITRÄGE ZUR PSYCHOLOGIE DES KUNSTSCHAFFENS.
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wird sich, wie wir glauben, sogleich erweisen, wenn wir an den Ver-
such herantreten, das aufgestellte Problem der Lösung nahezubringen.
5.
Es scheint auf den ersten Blick ein aussichtsloses Unterfangen zu
sein, die Natur des Kunstschaffens so bestimmen zu wollen, daß die
bisher vertretenen Standpunkte zu einer wahren inneren Ausgleichung
gelangen. Und doch glauben wir, diese Art der Lösung als die sach-
lich allein richtige bezeichnen zu müssen.
Eine unbefangene psychologisch-ästhetische Analyse des Prozesses
der Produktion von Kunstwerken im höheren Sinne des Wortes zeigt
nämlich alsbald, daß dieser Prozeß kein einfacher oder einheitlich ge-
arteter ist, sondern sich vielmehr aus deutlich unterscheidbaren Teil-
vorgängen zusammensetzt. Schematisch genommen beginnt alles der-
artige Schaffen mit dem Stadium der »Konzeption«, kulminiert in der
Tätigkeit der »Komposition« und findet durch ein Verfahren der »Ko-
adaption« seinen Abschluß.
Die Konzeption nun ist offenbar jener Teil des Produktionsvor-
ganges, den die Intuitionisten einseitigerweise für den ganzen Prozeß
halten. Die Erfahrung, welche uns durch die Mitteilungen zahlreicher
großer und aufrichtiger Künstler vermittelt wird, lehrt uns zuverlässig,
daß das Konzeptionsstadium folgende psychische Tatsachen einschließt:
es taucht, scheinbar spontan, eine beschränkte Zahl von anschaulichen
Vorstellungen auf, die durch gewisse Inhaltsbeziehungen Zusammen-
hängen und von einer Gemütsbewegung ästhetischer Art begleitet
sindl). Die Deutlichkeit dieser Vorstellungsinhalte kann von nebel-
hafter Unbestimmtheit bis zur Scheinrealität variieren und wächst häufig
zu einem solchen Grade an, daß die Bilder nahezu die Frische der
sinnlichen Anschauung erreichen. In letzterem Falle sprechen wir von
Intuition.
Die Intuition ist also in Wahrheit kein mystischer Zustand der un-
mittelbaren geistigen Anschauung oder gar der Vereinigung von Sub-
5 Über die unserer Betrachtung zu Grunde liegenden Begriffe des Schönen, der
Ästhetik und der Kunst, sowie über die Natur der ästhetischen Wertgefühle finden
sich nähere Feststellungen in Kreibig, Werttheorie, Wien 1902, S. 156 ff.
Andeutungsweise sei bemerkt: schön im allgemeinen nennen wir Vorstellungs-
gegenstände, welche bei reiner Hingabe an das Objekt Lust auslösen oder kürzer
ausgedrückt »uninteressiert Wohlgefallen« (Fechner). Kunstschöne Gegenstände er-
wecken im Genießenden einen komplexen Gefühlsverlauf von relativ ansehnlicher
Intensität und Dauer (eine »Ergriffenheit«). — Die allgemeine Ästhetik hat Vorstel-
lungsgegenstände mit Gestaltqualität, von der weiter unten zu sprechen sein wird,
zum Objekt; die Kunstästhetik bezieht sich jedoch nur auf Gestaltungen mensch-
licher Phantasie, auf »Bilder«.
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wird sich, wie wir glauben, sogleich erweisen, wenn wir an den Ver-
such herantreten, das aufgestellte Problem der Lösung nahezubringen.
5.
Es scheint auf den ersten Blick ein aussichtsloses Unterfangen zu
sein, die Natur des Kunstschaffens so bestimmen zu wollen, daß die
bisher vertretenen Standpunkte zu einer wahren inneren Ausgleichung
gelangen. Und doch glauben wir, diese Art der Lösung als die sach-
lich allein richtige bezeichnen zu müssen.
Eine unbefangene psychologisch-ästhetische Analyse des Prozesses
der Produktion von Kunstwerken im höheren Sinne des Wortes zeigt
nämlich alsbald, daß dieser Prozeß kein einfacher oder einheitlich ge-
arteter ist, sondern sich vielmehr aus deutlich unterscheidbaren Teil-
vorgängen zusammensetzt. Schematisch genommen beginnt alles der-
artige Schaffen mit dem Stadium der »Konzeption«, kulminiert in der
Tätigkeit der »Komposition« und findet durch ein Verfahren der »Ko-
adaption« seinen Abschluß.
Die Konzeption nun ist offenbar jener Teil des Produktionsvor-
ganges, den die Intuitionisten einseitigerweise für den ganzen Prozeß
halten. Die Erfahrung, welche uns durch die Mitteilungen zahlreicher
großer und aufrichtiger Künstler vermittelt wird, lehrt uns zuverlässig,
daß das Konzeptionsstadium folgende psychische Tatsachen einschließt:
es taucht, scheinbar spontan, eine beschränkte Zahl von anschaulichen
Vorstellungen auf, die durch gewisse Inhaltsbeziehungen Zusammen-
hängen und von einer Gemütsbewegung ästhetischer Art begleitet
sindl). Die Deutlichkeit dieser Vorstellungsinhalte kann von nebel-
hafter Unbestimmtheit bis zur Scheinrealität variieren und wächst häufig
zu einem solchen Grade an, daß die Bilder nahezu die Frische der
sinnlichen Anschauung erreichen. In letzterem Falle sprechen wir von
Intuition.
Die Intuition ist also in Wahrheit kein mystischer Zustand der un-
mittelbaren geistigen Anschauung oder gar der Vereinigung von Sub-
5 Über die unserer Betrachtung zu Grunde liegenden Begriffe des Schönen, der
Ästhetik und der Kunst, sowie über die Natur der ästhetischen Wertgefühle finden
sich nähere Feststellungen in Kreibig, Werttheorie, Wien 1902, S. 156 ff.
Andeutungsweise sei bemerkt: schön im allgemeinen nennen wir Vorstellungs-
gegenstände, welche bei reiner Hingabe an das Objekt Lust auslösen oder kürzer
ausgedrückt »uninteressiert Wohlgefallen« (Fechner). Kunstschöne Gegenstände er-
wecken im Genießenden einen komplexen Gefühlsverlauf von relativ ansehnlicher
Intensität und Dauer (eine »Ergriffenheit«). — Die allgemeine Ästhetik hat Vorstel-
lungsgegenstände mit Gestaltqualität, von der weiter unten zu sprechen sein wird,
zum Objekt; die Kunstästhetik bezieht sich jedoch nur auf Gestaltungen mensch-
licher Phantasie, auf »Bilder«.