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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Isemann, Bernd: Autonomie des Künstlers und Autonomie der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0598
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BEMERKUNGEN.

täglichen Rede aufs peinlichste vermieden werden, und die der Prosaist perhorres-
ziert. Es gibt keine größere Geschmacklosigkeit, als ein poetisches Zitat inmitten
eines gebundenen Satzes; jede Fiber sträubt sich, Worte und Wortfolgen, die dem
konkurrierenden Prinzip der Lyrik ihre Entstehung verdanken, in das epische Prinzip
nun sozusagen eingeklemmt zu sehen. Prosa und Poesie erniedrigen sich in solch
einem Satz gegenseitig. Aber dies Gezücht wird weder aus Schulaufsätzen noch
aus offiziellen Anreden höchster und niederster Stellen jemals auszurotten sein. An
dieser Geschmacklosigkeit ändert kein Gänsefüßchen das Geringste. Zwei Prin-
zipien begegnen sich von so heterogener Art, daß sie nicht einmal miteinander in
Kampf zu bringen sind. — Da aber verlangt ist, daß das Prinzip nicht aufs Gerate-
wohl durch willkürliche Zusammenfügung klangvoller Worte abgetan werde, und
da das Ziel nicht Klang an für sich (ein ganz lebensunfähiges Substrat) ist, sondern
eben reichste Klangwirkung im Rahmen der Sprache und des Gedankens, auf deren
notwendige Wechselwirkung schon hingewiesen worden ist, so wird die Sprache
der Lyrik ungewöhnlich erscheinen müssen, gewählt und voll bilderreichen Beiwerks,
die Wunder des Klangs herbeizutragen, Fernes an Nahes zu binden und alten, wohl
gar halbvergessenen Worten ihre unverbrauchten naturreinen Töne zu entlocken.
Man sieht, wie der Lyriker ein neues Ferment in die Sprache trägt auf der
Suche nach seinen Wirkungen, wie er zu jedem Wagnis gegen Konvention und
Tradition ermächtigt ist unter der einen Bedingung allerdings, daß verständlich sei,
was er zu sagen hat. Das ist die allgemeinste Bedingung jeglicher Mitteilung von
Wesen zu Wesen und wäre in einer anderen Zeit als der unsrigen selbstverständ-
lich, in der es Narren gibt, die Sinnlosigkeit zum Prinzip ihrer Kunst machen.
Jedes gegenstandslose Bemühen, eine sinnlose Schönheit zu konstruieren, wird sich
über die rohen Wirkungen der Natur nicht zu erheben vermögen, die wohl Gefühle
der Befriedigung, des Schreckens, der Erhabenheit, der Unlust zu wecken vermag,
nie aber Gefühl an sich, das reine Genießen ohne persönliches Interesse, das vom
Bedürfnis losgelöste Gefühl überpersönlichen Daseins. Immerhin muß man zugeben,
daß die Lyrik aller Sprachen sowohl Laute der Natur als auch frei erfundene Natur-
laute besonders in der Eigentümlichkeit der Refrains führt, welche die verschiedenen
Aufgaben haben, entweder die Melodie ausklingen zu lassen oder auch sentimen-
talischen Kontrasten zu dienen, gewöhnlich aber dazu geschaffen wurden, der singen-
den Stimme über die Zeile hinaus den Anschluß an die begleitende Musik zu er-
möglichen. Diese Laute sind also keineswegs sinnlos und widersprechen dem Ge-
setz nicht.
Man mag berechtigt sein zu fragen, wie bei einer solchen Redeweise, wie sie
dem Lyriker zugewiesen wurde, seine Arbeit nicht unnatürlich, schwülstig und inner-
lich unwahr ausfallen soll (und wenn sie in diesem Sinne nicht wahr ist, so reprä-
sentiert sie auch die Sprache nicht). Sie darf eben zu diesem Zweck vor allen
Dingen nicht erzählen. Die Idee des Erzählens ist logische Übersichtlichkeit, bei
der eben die Worte ihr Ziel einzig in der »logischen Einheit der konstruktiven Ge-
staltung« erreichen. Die ungewöhnliche Redeweise muß durch das Ungewöhnliche
der Natur, durch ein stark und naiv geäußertes Empfinden ihre Rechtfertigung
finden, sie muß das unmittelbare Gefühl zum Gegenstand nehmen, die feierliche
Geberde der Reflexion, das stürmische Stammeln der Leidenschaft um sich tun.
Aber diese Gefühle, selbst wenn sie in der Ich-Form vorgetragen werden, müssen,
da sie zum direkten Gegenstand werden, die allgemeinste Gestalt des Gedankens
annehmen, sie müssen zur Einheit typischer Gestaltung erhöht werden. So ge-
lingen sie zu Symbolen dessen, was jeder Einzelne als Mensch erleben kann und
die Gesamtheit auf allen Wegen erlebt.
 
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