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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0410
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BESPRECHUNGEN. 405

hat die innere Unruhe, die gewaltige Bewegung nicht genug gefühlt, aus der heraus
Winckelmann zu der großen Ruhe im Schönen gelangte, ohne doch je dieser Un-
ruhe ledig zu werden. »Suchen wir den Menschen Winckelmann in seinem
Pathos und Ethos zu ergründen und wir werden den Schlüssel finden zu dem
.Wunder' Winckelmanns« (231). Sein Aufstreben aus leidensvoller Jugend, das An-
kämpfen seines Protestantismus gegen die Konversion, der Stolz dieser großen Natur,
das immer erneute Unglück seiner überschwänglich-erotischen Freundschaft — alles
das gibt seinem Schönheitserleben die Leidenschaft. Sein Schauen ist religiös. In
Rom singt er lutherische Choräle — »ein Universalist der Religiosität« (242). Frei-
heit, Schönheit, Freundschaft ist der Dreiklang seines Lebens, wobei »Freiheit« ganz
epikureisch als »Entbindung von allem .Soll'« (251) zu verstehen ist. Die Schönheit
ist Meeresstille — in ihrem Anschauen beruhigt sich die hocherregte Seele, doch
so, daß ihre Erregung noch leise .nachzittert. »Ästhetisches Genießertum mit hoch-
religiösen Absichten, das ganze Sein unter der Form des ästhetischen Schauens
metaphysisch begriffen« (254). Durchaus unsozial ist Winckelmann; auch wo er
als Lehrer des Schönen auftritt, denkt er nur an einzelne schöne, der verhärtenden
Arbeit enthobene Jünglinge als Schüler. Er gab dem deutschen Klassizismus die
hellenische Form, die andere nach ihm mit moralischem Gehalt erfülllen.

7. Felix Krueger, Die Tiefendimension und die Gegensätzlichkeit
des Gefühlslebens. Diese psychologische Arbeit soll wegen der Beziehungen
der Gefühlspsychologie zur Ästhetik erwähnt werden. Krueger fordert eine de-
skriptive Methode für die Gefühlslehre und wendet sich gegen die Einschränkung
aller Gefühle auf Lust und Unlust. In der Betonung der großen Mannigfaltigkeit
der Gefühle sieht er den Wahrheitskern der Wundtschen Theorie. Gefühle sind

die spezifischen Komplexqualitäten des jeweiligen Gesamtbewußtseins-
inhalts« und besitzen die gemeinsamen Merkmale der inneren Wärme und der be-
wußtseinerfüllenden Breite (273). Unter den Gefühlen unterscheidet Krueger die
»flachen« von den »tiefen« oder »innigen«. Diese Unterscheidung hat an die Stelle
des alten zwischen höheren und niederen Gefühlen zu treten. Tiefe darf ja nicht mit
Intensität verwechselt werden. Flache Gefühle haben immer etwas einförmig Ge-
richtetes, während tiefe »weitgespannte Gegensätze des Fühlens gleichzeitig,
unmittelbar in sich vereinigen« (282). So hängen Tiefe und Gegensätzlichkeit
zusammen.

8. Eduard Spranger, Zur Theorie des Verstehens und zur geistes-
wissenschaftlichen Psychologie. Spranger behandelt ein bei der gegen-
wärtigen Lage der Philosophie zentrales Thema. Er wendet sich gegen die alte
These, daß Verstehen gleichzusetzen sei mit Herauslesen des Seelischen aus Körper-
lichem — vielmehr verstehen wir immer nur mit Hilfe eines objektiven Sinnes. Mit
den meisten der neueren Denker, mit Rickert, Husserl, den Marburgern erkennt
Spranger eine »ideelle Objektivität«, ein Reich der Werte und des Sinnes an, das
unabhängig vom individuellen Subjekt existiert. Dies Reich nennt er das Geistige
und kommt so zu dem Satze, »daß wir das Seelische nur verstehen durch das
Geistige hindurch« (372). Freilich ist .uns umgekehrt das Geistige nur in seelischer
Umhüllung als Erlebnis gegeben. Daher ist es weder rein psychologisch noch rein
objektiv zu begreifen, sondern nur durch einen zwischen beiden Seinsweisen ver-
laufenden Akt. So löst sich für Spranger auch die Streitfrage, ob Ästhetik eine
psychologische oder eine Gegenstandswissenschaft sei. »Sie ist beides, weil alles
Ästhetische in einer eigentümlichen Subjekt-Objektbeziehung, in einem spezifischen
geistigen Bande zwischen Ich und Gegenstand wurzelt« (382). Das Verstehen
knüpft immer zugleich an Körperliches und an Geistiges an, es vollzieht sich aber nur
 
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