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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Waetzoldt, Wilhelm: Die Begründung der deutschen Kunstwissenschaft durch Christ und Winckelmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0188
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184 WILHELM WAETZOLDT.

Schule, sonderlich des Paolo Veronese und der Fröhlichkeit des
Pinsels bei Correggio zu verbinden suchten. Auch diese Theorie
— Mengs und Winckelmann gemeinsam — taucht schon in Albanis
Briefen an Bellori auf.

Wer den Kern der Winckelmannschen Ästhetik fassen und seine
Urteile über neuere Kunst gerecht beurteilen will, muß bedenken, daß
Winckelmann von der Literatur her zur Kunst kam. Nach Goethes
Urteil ist es schwer, ja fast unmöglich, von Poesie und Rhetorik zu
den bildenden Künsten überzugehen, weil zwischen ihnen eine un-
geheuere Kluft liegt, über welche uns nur ein besonders geeignetes
Naturell hinüberhebt. Winckelmann ist die Überbrückung nie ganz
gelungen. Das wird einem klar, wenn man die Schrift liest, an deren
Inhalt ihm unendlich viel gelegen war, die von der »Allegorie«. Winckel-
manns Vorliebe für die Allegorie ist nicht eine Marotte, nicht ein Schön-
heitsfehler in dem glänzenden Bilde seiner Geistigkeit. Diese Neigung
entspricht vielmehr ganz natürlich seinen ästhetischen Grundsätzen wie
seiner geistesgeschichtlichen Ahnenreihe. Schon in den »Gedanken«
hatte es geheißen: »Die Malerei erstreckt sich auf Dinge, die nicht
sinnlich sind, diese sind ihr höchstes Ziel.« »Der Pinsel, den der
Maler führt, soll in Verstand getunkt sein« usw. In der Verstandes-
forderung steckt die tiefe, ja leidenschaftliche Sehnsucht eines Sohnes
der sinnenfrohen Rokokozeit nach gehaltvollen Kunstwerken. Schön-
heit, Grazie, Formvollendung der nachbarocken Kunst abzusprechen,
so blind war Winckelmann keineswegs, aber Gehalt, Bedeutung, Ernst
vermißte er an ihr. Das Vermögen, Bedeutendes auszudenken, nennt
Winckelmann »Verstand«. Wer so argumentierte und forderte, mußte
auch den Weg weisen, denn der Maler, der weiter denkt, als seine
Palette reicht, wünscht einen gewissen Gedankenvorrat zu haben, eine
Ikonologie; dieses Ideenmagazin nennt Winckelmann »Allegorie«. Alles,
was durch Bilder und Zeichen angedeutet wird, kurz alles Symbolische,
ist für Winckelmann allegorisch. Aus seiner riesigen römischen Denk-
mälerkenntnis und seinen Literaturauszügen gab Winckelmann eine
Übersicht des Sinn- und Beziehungsreichen, bei denen der Kenner zu
denken und der bloße Liebhaber zu denken lernen sollte. Er erfand,
wie Wilhelm Schlegel bemerkte, eine neue Hieroglyphenschrift. Trotz-
dem Winckelmann von der Allegorie »Einfalt«, d. h. Eindeutigkeit ver-
langt, schlägt er selbst allegorische Begriffseinkleidungen vor, die jedem
Nichtantiquarius völlig unverständlich sein müssen, z. B.: der Begriff
des neuen Jahres soll allegorisch durch eine Figur dargestellt werden,
welche einen großen Nagel in einen Tempel einschlägt, denn der
römische Prätor schlug zu Beginn jedes Jahres den »clavus annalis«
ein. Die Kunst soll mit allegorischem Geiste durchsetzt werden bis
 
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