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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Adama van Scheltema, Frederik: Beiträge zur Lehre vom Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0428
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424 F. ADAMA VAN SCHELTEMA.

bedingungen, die in der Struktur des Trägers begründet lagen. Da
die bekannten norddeutschen neolithischen Gruppen dieser dritten Ent-
wicklungsphase, die schon hier und da mit dem ersten Auftreten der
Metalle zusammenfällt, angehören, möchte ich hier etwas eingehender
die Wachstumszeichen dieses letzten Stadiums erörtern.

Vor allen Dingen wird die tektonische Aufgabe, die das Orna-
ment zu erfüllen hat, vager oder verschwindet ganz. Es knüpft an
Stellen an, denen nur eine untergeordnete tektonische Bedeutung zu-
kommt — z. B. Ansatzstellen der Henkel —, vernachlässigt die Stellen
primärer tektonischer Bedeutsamkeit, läuft über diese hinweg. Die
Ansatzstellen des Ornaments selber werden unbestimmter — es ent-
stehen schwebende Muster. Die regelmäßige Reihung von Ele-
menten, welche den gleichmäßigen Verlauf in den wagrechten Zonen
des Gefäßes begleiten, wird unterbrochen, Reihen sekundärer Ordnung
werden eingeschoben. Die vertikalen und horizontalen Liniensysteme
vermischen sich, d. h. die deutliche Sprache der Rand- und Wandlinien
geht infolge der wiederholten Unterbrechung durch andersgerichtete
Elemente verloren. Das sind die bezeichnendsten Merkmale des Orna-
ments mit Beziehung zum Träger. Bei der morphologischen Betrach-
tung der Ornamentform selber tritt der eigentümliche Charakter der
dritten Phase noch schärfer hervor. Da ist besonders auf das Auf-
treten der Diagonale hinzuweisen, die einen größeren Teil der Wand-
fläche durchläuft, d. h. eine Aufhebung des horizontal-vertikalen »Rippe-
Rückgratsystems«, worauf der Ursprung des geradlinigen Ornaments,
seiner struktiv-symbolischen Aufgabe gemäß, beruhte. Ebenso bezeich-
nend ist das Verlassen des Linearornaments überhaupt durch die Bil-
dung gemusterter Flächen — schraffierter Dreiecke z. B. —, wobei die
Linie ihre Bedeutung als solche und damit ihren tektonischen Wert
einbüßt: die Linie wird Füllung. In engem Zusammenhang mit
diesem Auftreten aneinanderstoßender gefüllter Flächen steht die nun
dann und wann anzutreffende scheinbare oder wirkliche Nächbil-
dung von Flechtmustern. Die Wand wird wie durch ein Geflecht
verhüllt, der äußerste Gegensatz zum ursprünglichen Skelett oder Ge-
rüst der struktiv-symbolischen Linien wird erreicht. Äußerst bezeich-
nend ist weiter der nun oft auftretende Umschlag von Grund in
Muster, Muster in Grund, und im Zusammenhang damit, das
Erscheinen negativer Muster. Ein solches Muster finden wir
z. B., wenn zwei Reihen schraffierter Dreiecke einen Teil der nackten
Wand einschließen, der nun, je nachdem die gegenüberliegenden Drei-
ecke sich mit den Spitzen berühren oder wechselnd angeordnet sind,
als ein Rauten- oder ein Zickzackmuster erscheint; es kann aber das
fragliche Muster auch einfach aus dem gleichmäßig gemusterten Grund
 
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