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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Flechtner, Hans-Joachim: Die phantastische Literatur: eine literarästhetische Untersuchung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0061
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BEMERKUNGEN.

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„Mangobaumwunder" von Frank und Perutz, auch Perutz' ernstes Werk „Der Mei-
ster des jüngsten Tages", schließlich auch Strobls „Umsturz im Jenseits" und
Kubins „Andere Seite".

Die sozial-wirtschaftliche Richtung ist ihrem Wesen nach vorwiegend tendenziös
eingestellt, die hierher gehörenden Werke behandelten wir oben bereits. Erwähnt sei
hier noch als eigenartige Mischung verschiedener Richtungen: Strobl „Gespenster
im Sumpf".

Die kosmologischen Phantasien sind wieder wie die anderen naturwissenschaft-
lichen Werke auf dem Boden neuer Forschungen erwachsen. Hier ist es vor allem
Hörbiger-Fauths „Glacialkosmogonie" („Welteislehre"), die das Fundament abgibt.
Lafferts „Untergang der Luna", Eichackers „Panik" und „Fahrt ins Nichts" sind
Beispiele für diese Richtung. Bei Eichacker wieder der erwähnte typische Fall: Im
Buchtitel ist Max Valier als verantwortlich für die wissenschaftliche Idee genannt.

Auf Vollständigkeit konnte und sollte bei dieser Untersuchung kein Anspruch
gemacht werden, nur typische Vertreter der einzelnen Richtungen sollten zu Wort
kommen.

HL

In diesem Schlußteil der Untersuchung sollen noch einige allgemeine Momente,
die an der phantastischen Literatur ins Auge fallen, aufgewiesen werden. Zuerst
zeigt sich ein ästhetisches Gesetz, das man als das „Prinzip der Ökonomie in der
Verwendung phantastischer Elemente" bezeichnen könnte. Es ist nicht möglich, im
Fortlauf der Handlung wahllos eine Idee auf die andere zu häufen, selbst dann
nicht, wenn an Stelle der Wahllosigkeit systematische Entwicklung tritt. Im Gegen-
teil. Den besten Typus des phantastischen Romans bildet der, in dem auf einer
phantastischen Grundidee aufgebaut wird, alles andere sich aber durchaus „reali-
stisch" entwickelt, wie es z. B. Scheffs „Arche" und Kappus „Lebende Dreizehn"
zeigen. Es ist für den Leser eine zu große Zumutung, dem Phantasiegang des Dich-
ters immer wieder von neuem zu folgen. Er muß sich erstmalig in die neue Situ-
ation (die phantastische Grundidee) hineinversetzen, dann aber verlangt er, daß auf
dieser Basis das Leben und die Taten der Personen sich logisch entwickeln. Die
ganze Handlung muß, die phantastische Idee ausgenommen, möglich — wirklich
sein, für die Idee selbst aber wird die Denkbarkeit verlangt.

Eine zweite Frage aber, die sich hier erheben könnte, soll auch beantwortet
werden: Die Darstellung des Unmöglichen wird als die Domäne der phantastischen
Dichtung bezeichnet? Sind dann aber nicht alle Märchen und Sagen der älteren
Dichtung auch phantastische Dichtung? Muß der Rahmen der Untersuchung dann
nicht viel weiter gespannt werden?

An sich ist diese Frage berechtigt. Es besteht aber ein wesentlicher Unterschied
zwischen Märchen und Sage einerseits und der phantastischen Literatur des be-
trachteten Zeitraumes andererseits. Dieser Unterschied betrifft das Dichterische
selbst. Märchen und Sage sind ihrem Wesen nach Kunstwerke, sind Dichtungen,
ihr eigentlicher Zweck, soweit man überhaupt von einem Zweck sprechen kann, ist
die dichterische Gestaltung. Die phantastische Literatur dagegen ist erst in zweiter
Linie, ja häufig überhaupt nicht, Dichtung, sondern der sachliche Gehalt, das Idee-
liche spielt die Hauptrolle. Deswegen wird mancher Leser dieses Aufsatzes die
Erwähnung von Namen wie Balzac, E. T. A. Hoffmann u. a. vermißt haben. In
die hier behandelte moderne Kategorie der phantastischen Dichtung gehören deren
Werke nicht hinein. Zweifellos muß eine Geschichte der phantastischen Literatur
diese Werke vor allem berücksichtigen, aber unsere Arbeit erstrebte etwas völlig
anderes: einen Überblick über das phantastische Literaturschaffen der Gegenwart.
 
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