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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Schneider, Albert: Umgrenzung des Künstlertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0134
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IL

Umgrenzung des Künstlertums.*)

Von

Albert Schneider.

Während der tätige Mensch durch entschlossenen Eingriff in den
Ablauf des Naturgeschehens und die gesellschaftlichen Verhältnisse
eine Art künstliche Lebensordnung schafft, keinen Organismus wohl,
aber ein Organisiertes, und der Forscher diesem Organisator der Men-
schengesellschaft gleichsam die Rechnung der Wirklichkeit zu jeder-
zeitiger Verwertung aufstellt, führt und verführt den Künstler sein
Gegenstand in umgedeutete Natur- und Lebensverhältnisse, in eine Welt
des Scheins. Der Gegenstand, von dem er kündet, gehört zunächst ihm
allein an, seinem freien Bewußtsein, und die sinnlichen Mittel zu seiner
Verwirklichung sind seinem Ermessen anheimgegeben. Er steht im
organisierten Leben, diesem Gefüge voller Bindungen und gegenseitiger
Abhängigkeiten, als der Ungebundene, Unabhängige, und die hohe Wert-
schätzung, die seine oft recht belanglose bürgerliche Menschlichkeit ge-
nießt, entspringt dem Glauben, daß er der Bringer alles Ungewöhn-
lichen, der Schöpfer der Dinge aus dem Nichts, der Überwinder von
Raum und Zeit, das leibhaftige Abbild Gottes sei. Die Gemeinde der
Blindgläubigen übersieht, daß dies nur allenfalls für die Berufenen gilt,
daß sie aber äußerst selten sind und ihr eigentlicher Feingehalt kaum
je leicht erkennbar zutage liegt. Ist der Gegenstand, von dem der Künst-
ler zu zeugen vorgibt, nicht sein eigener, sondern etwas äußerlich Über-
nommenes, Entliehenes, so entbehrt der Künstler des Wesentlichen, was
ihm Vorrecht verleihen könnte. Vermag er aus seinem Gegenstand her-
aus keine lebenskräftige Vorstellung zu entwickeln und seinen Zeit-
genossen oder Nachfahren zugänglich zu machen, so ist seine Arbeit
Stückwerk. Unpersönlichkeit im Gegenstand, Unfähigkeit ihn zu gestal-
ten, das sind Grundgebrechen, die eigentlichen Kennzeichen des Schein-
künstlers. Für Unfruchtbarkeit und Mangel an Begabung gibt es kein
Heilmittel, nur Versuche der Bemäntelung; man heißt sie Mache.

Doch setzen wir einen wahren Glücksfall künstlerischer Berufung
und Begabung voraus, was soll die Welt mit all den neuen Vorstellungs-
ordnungen, seien sie auch noch so grundsauber und eindringlich? Genügt

1) Aus dem soeben erschienenen Buche des Verfassers „Der Gegenstand des
Künstlers". Ferdinand Enke, Stuttgart.
 
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