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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Schneider, Albert: Umgrenzung des Künstlertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0135
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UMGRENZUNG DES KÜNSTLERTUMS.

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es dem tätigen Leben nicht, einen reichen Vorrat kluger Erforschungen
zu besitzen und jeden Handstreich, jedes Ding, jede Anordnung auf reine
Zweckmäßigkeit einzustellen? Wozu das ganze Drum und Dran von ed-
ler oder gewundener Form, von Farbe, Klang und fremdem Abenteuer?

Die durch den Künstler übermittelte Vorstellung ist ihrer Natur-
geltung nach bloßes Scheinbild, daran ist nicht zu zweifeln, auch im
Falle der naturgetreuen Nachbildung. Allein etwas ist der Natur wie
dem Abbild und Scheinbild in gleicher Weise eigen, nämlich die Ge-
ordnetheit, das Gesetz der Vorstellung. Das liegt nicht etwa schon in
der Natur zum bloßen Zugriff bereit, sondern erfordert Mühe des
Geistes und der Hand. Der erste, dem die Gesetzmäßigkeit einer Kreis-
figur oder eines Quadrats als schlechthinige Gesichtserfahrung zum
Bewußtsein kam, machte eine Entdeckung, und der noch so unbeholfene
Zeichner eines Tier- oder Menschenumrisses öffnete seinen Genossen das
Auge und erleuchtete ihren Geist. Gesetz erkennen, heißt vereinfachen,
zugänglich, vertraut machen. Die erste geometrische Figur, die erfaßt
wurde, war noch keine Wissenschaft, aber sie vertrat schon etwas von
ihrem später enträtselten Sinn. Sie ward Zeichen für Beherrschung und
Zugehörigkeit, zauberhaftes Vertrautheitssymbol, und gab die Grund-
lage für die nach und nach sich klärenden logisch geprägten Erkennt-
nisse. Das andere, die erschaute Geordnetheit eines Ausschnittes der
sichtbaren Sinnenwelt, machte die Natur zu Bildern, zu etwas Merk-
barem, das dem Gedächtnis einverleibt, wieder erkannt und aufgefunden
werden konnte. Darin waren die Linien des Naturgesetzes schon zag-
haft vorgezeichnet und ließen sich weiterverfolgen, die Naturwissen-
schaft lebte bereits in embryonalem Zustand. Von ganz überragender
Bedeutung ward daneben der sprachliche Bericht, der die gesamten Ein-
zelerfahrungen zu einer Einheit zu verbinden ermöglicht und der sich
zum geschlossenen Beweisverfahren umstellen und erweitern läßt. Die
Erfindung des Mittels hierzu, der Sprache, als eines einheitlichen Ge-
rüstes bezeichnender Laute, das sich über Menschen, Dinge, Orte und
Veränderungen hinbreitet und für jede Erscheinung ein allzeit bereites
Gegenwartsmerkmal im Bewußtsein niederlegt, ist eine an hohe künst-
lerische Vorstellungsgabe gebundene Leistung.

Jener Vorrat an logisch begründetem Wissen, von dem behauptet
wurde, er sei dem Organisator für seine durchgreifende Bemeisterung
des Lebens willkommenes Hilfsmittel, kann also wohl nur auf der Grund-
lage der Vorstellungsordnungen erworben worden sein. Damit ist nicht
gesagt, daß der tätige Mensch die sichere Erfassung des Erfahrenen im
Bild oder Bericht nicht in einer besseren Schule lernen kann als in der
des eigenbrödlerischen Lehrmeisters der Vorstellungen, der sich Künst-
ler nennt. Gerade für diesen Bedarf bieten sich ihm ja die technischen
 
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