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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0093
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BESPRECHUNGEN.

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tung am Herzen liegt. Seine Absicht aber, das sei gleich eingangs gesagt, hat er
in so ausgezeichneter Weise erfüllt, daß die Kenntnisnahme seiner Schrift einem
jeden dringend empfohlen werden muß, der in die Kunstform von Dichtungen, in
das gesamte künstlerische Wesen von Dichtkörpern eindringen will. Ausführliche
und ertragreiche Anmerkungen unterstützen wesentlich die Absicht des Verfassers
und vermehren den Gewinn des Lesers.

Leos Buch stellt sich in die Reihe mehrerer verwandter Schriften der letzten
Jahre, etwa neben Erich Everths „Conrad Ferdinand Meyer. Dichtung und Per-
sönlichkeit"1), Helmut Hatzfelds oben genanntes Buch, Paul Zinckes „Paul Heyses
Novellen-Technik. Dargestellt auf Grund einer Untersuchung der Novelle ,Zwei
Gefangene'"2), Hans Ahrbecks „Wilhelm Raabes Stopfkuchen. Studien zu Gehalt
und Form von Raabes Erzählungen"3), Walther Scharrers „Wilhelm Raabes litera-
rische Symbolik, dargestellt an Prinzessin Fisch"4), meines Erachtens aber über-
trifft es sie alle sowohl an analytischem Verständnis und deutendem Geschick
der Einzelheiten dichterischer Konstruktion wie an synthetischem Blick auf weitere
Zusammenhänge. Sie verfolgt, wie schon in der Titelfassung ausgedrückt ist,
zweierlei Zweck. In erster Linie soll Fogazzaros epischer Stil in seinen all-
gemein typischen Zügen wie in seiner Entwicklung herausgearbeitet, dann aber
aufgezeigt werden, wie sich in Fogazzaros Romandichtung eine besondere
Art Roman überhaupt darstellt. Die Verfolgung der ersteren Absicht läßt den
Verfasser eine Fülle feinster stilistischer Beobachtungen machen, die er so
im einzelnen überzeugend und in übersichtlichem Zusammenhange klarlegt,
daß dem Leser vollständiger, als es in derartigen Untersuchungen die Regel
ist, der gesamte erzählerische Stil Fogazzaros in seinen wesentlichen Zügen
zu Bewußtsein kommt. So wird man Leos Absicht, die er früher schon an mittel-
alterlichen Texten verfolgte5), „durch Interpretation eines dichterischen Textes den-
jenigen ästhetischen Faktoren auf die Spur zu kommen, die in dem betreffenden
Texte wirken und ihn zu dem gemacht haben, was er künstlerisch geworden ist"
(S. VII), durchaus erfüllt finden.

Es soll hier nur auf einige besonders gut gesehene und weit über den stoff-
lichen Rahmen hinaus wichtige Einzelheiten seiner Darlegungen hingewiesen werden.
Diese Einzelheiten, die ich herausgreifen möchte, gruppieren sich um das Problem
der Sprache, das Leo als bei Fogazzaro von ganz grundlegender Bedeutung erweist.
Feinsinnig wird etwa das Verhältnis von direkter zu indirekter Rede an zwei Bei-
spielen erläutert (84 ff., 97 ff.), deren ersteres zugleich ein vortrefflicher Beleg eines
sogenannten „Schweigegesprächs" ist. Fogazzaro ist überzeugt von der Unzuläng-
lichkeit menschlicher Rede, wo es sich darum handelt, im Verkehr mit anderen Men-
schen gerade das Wesentliche, das Innerlichste und Tiefste zu äußern. Die Wort-
sprache ist bei Fogazzaro „oft nicht einmal auf Halbtöne eingerichtet ... So skep-
tisch steht er zu den Möglichkeiten der Wort Verständigung" (102). Einen sehr wei-

!) Dresden: Sibyllen-Verlag 1924; vgl. meine Besprechung in „Zeitschrift für
Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft", Bd. 23 (1929), S. 201 f.

2) Karlsruhe: Gutsch [1927]; vgl. meine Besprechung in „Zeitschrift für
Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft", Bd. 23 (1929), S. 108 ff.

s) Phil. Diss. Göttingen 1926.

4) München 1927: Knorr & Hirth; auch als Phil. Diss. München 1927.

5) Leo, Ulrich: Die erste Branche des Roman de Renart nach Stil, Aufbau,
Quellen und Einfluß. Greifswald: Bruncken 1918 („Romanisches Museum" 17), und:
Studien zu Rutebeuf. Entwicklungsgeschichte und Form des Renart le Bestourne"
und der ethisch-politischen Dichtungen Rutebeufs. Halle: Niemeyer 1922. („Zeit-
schrift für romanische Philologie". Beiheft 67.)
 
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