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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Solowjoff, Wladimir: Die Schönheit in der Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0114
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98

WLADIMIR SOLOWJOFF.

Einfluß auf die Seele, eine wenn auch noch unbedeutende, oberflächliche
und teilweise, aber trotzdem reale, direkte und dauernde Wirkung auf die
äußere materielle Natur — das Material, aus dem diese Kunst ihre Er-
zeugnisse schafft — aus. Eine schöne Statue ist im Verhältnis zu einem ein-
fachen Stück Marmor unstreitig ein neuer realer Gegenstand und dabei
ein besserer, vollkommenerer (im objektiven Sinne), weil er komplizierter
und dabei individualisierter ist. In diesem Falle trägt die verbessernde
Wirkung der Kunst auf den materiellen Gegenstand einen rein äußeren
Charakter, der die wesentlichen Eigenschaften dieses Gegenstandes nicht
verändert, daraus folgt aber durchaus nicht, daß eine so oberflächliche
Art der Wirkung unbedingt der Kunst immer und in allen ihren Aus-
drucksformen eigen ist. Wir haben im Gegenteil das volle Recht anzu-
nehmen, daß die Wirkung der Kunst sowohl auf die äußere Natur als
auch auf die menschliche Seele verschiedene Steigerungen aufweist und —
mehr oder weniger — tief und stark sein kann.

Wie schwach jedoch diese zwiefache Wirkung des Künstlers auch sein
möge, so schafft er doch jedenfalls neue Zustände und Gegenstände, eine
gewisse neue schöne Wirklichkeit, die ohne ihn gar nicht vorhanden wäre.
Diese schöne Wirklichkeit oder diese verwirklichte Schönheit bildet nur
einen sehr unbedeutenden und hinfälligen Teil unserer noch bei weitem
nicht schönen Wirklichkeit. Im menschlichen Leben ist die künstlerische
Schönheit nur das Symbol einer besseren Hoffnung, ein kurzwährender
Regenbogen auf dem dunklen Hintergrunde unseres chaotischen Seins.
Gegen diese Unvollkommenheit der künstlerischen Schönheit, gegen diese
Oberflächlichkeit ihres Charakters lehnen sich nun die Gegner der reinen
Kunst auf. Sie lehnen sie nicht ab, weil sie zu erhaben, sondern weil sie
nicht real genug ist, d. h. weil sie nicht imstande ist, sich unserer ganzen
Wirklichkeit zu bemächtigen, sie umzuwandeln, sie durch und durch zu
verschönern.

Sie verlangen, ohne sich dessen vielleicht selbst voll bewußt zu sein,
von der Kunst bedeutend mehr als das, was sie bis jetzt gegeben hat und
noch gibt. Sie haben Recht darin, denn die Begrenztheit des bisherigen
künstlerischen Schaffens, diese Illusion der idealen Schönheit, stellt nur
einen unvollkommenen Grad der Entwicklung der menschlichen Kunst
dar und stammt in keinem Falle aus ihrem Wesen.

I.

Der Diamant, d. h. der kristallisierte Kohlenstoff, ist seiner chemischen
Zusammensetzung nach dasselbe wie die gewöhnliche Kohle. Ohne
Zweifel sind auch das rasende Geschrei eines verliebten Katers und der
Gesang der Nachtigall ihrer psycho-physiologischen Grundlage gemäß
ein und dasselbe: ein tönender Ausdruck des intensiven Geschlechts-
 
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