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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Solowjoff, Wladimir: Die Schönheit in der Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0132
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WLADIMIR SOLOWJOFF.

Der Mensch rindet bestimmte Erscheinungen in der Natur schön, sie
bereiten ihm einen ästhetischen Genuß. Die Mehrzahl der Philosophen
und Gelehrten sind davon überzeugt, daß das nur eine Tatsache des
subjektiven menschlichen Bewußtseins ist, daß es in der Natur
selbst das Schöne nicht gebe, ebensowenig wie das Gute und das
Wahre. Es erweist sich aber nun, daß dieselben Verbindungen von For-
men, Farben und Tönen, die dem Menschen in der Natur gefallen, auch
den Geschöpfen der Natur selbst — den Tieren der verschiedensten Typen
und Klassen — gefallen, und zwar gefallen sie ihnen so sehr und sie
haben für sie eine so wichtige Bedeutung, daß die Erhaltung dieser un-
nützen, ja zuweilen sogar (vom Nützlichkeitsstandpunkt aus) schädlichen
Eigenheiten als Grundlage für ihr Dasein als Gattung dient. Wir dürfen
keinesfalls behaupten, daß die Flügel eines tropischen Schmetterlings oder
der Pfauenschweif nur unserem subjektiven Geschmack nach schön sind,
denn genau ebenso wird ihre Schönheit von den Schmetterlingen und
Pfauen selbst eingeschätzt.

Wenn das der Fall ist, müssen wir, notwendigerweise weitere Schlüsse
ziehen. Denn nach der Annahme, daß der Pfauenschweif objektiv schön
sei, wäre es höchst ungereimt, zu behaupten, daß die Schönheit des Regen-
bogens oder des Diamanten nur subjektiv-menschlicher Art sei. Wenn im
gegebenen Einzelfall gar kein fühlendes Subjekt zugegen ist, gibt es
natürlich auch keine Schönheitsempfindung; es handelt sich hierbei aber
nicht um die Empfindung, sondern um die Eigenschaft des Gegen-
standes, der imstande ist, gleichartige Empfindungen in verschiedenen
Subjekten wachzurufen. Wenn die Schönheit in der Natur jedoch objektiv
ist, muß sie auch eine gewisse allgemeine ontologische Grundlage be-
sitzen, und muß — auf verschiedenen Stufen und in verschiedenen Ge-
stalten — die sinnfällige Verkörperung einer absolut-objektiven alleinigen
Idee sein.

Der kosmische Geist schafft im offenen Kampf mit dem Urchaos und
im geheimen Bunde mit der von diesem Chaos zerrissenen Weltseele oder
Natur — die den geistigen Impulsen des lebensschaffenden Prinzipes im-
mer mehr nachgibt — in ihr und durch sie den herrlichen Körper unseres
Weltalls. Diese Schöpfung ist ein Prozeß mit zwei eng miteinander
verknüpften Zielen, einem allgemeinen und einem besonderen. Das all-
gemeine ist die Verkörperung der realen Idee, d. h. des Lichtes und
des Lebens, in verschiedenen Formen der Naturschönheit; das be-
sondere ist die Schaffung des Menschen, d. h. derjenigen Form, die mit
der größten Körperschönheit die höchste innere Potenzierung des Lichtes
und des Lebens, genannt Selbstbewußtsein, verbindet. Bereits innerhalb
der Tierwelt wird, wie wir soeben gesehen haben, das allgemeine kos-
mische Ziel unter der Teilnahme und Mitwirkung der Tiere, durch die
 
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