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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Schneider, Albert: Umgrenzung des Künstlertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0141
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UMGRENZUNG DES KONSTLERTUMS.

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die kirchlichen Bauherrn nicht immer eines Sinnes waren mit ihren
Baumeistern, Plastikern und Malern. Sie erkannten die Gefahr, daß
weltliche Schöpfungsgüter Eingang fänden in das Bereich des Glaubens,
der durch einwandfreie Sätze eng, aber unzweideutig umschrieben ist.
Manchmal verboten sie überhaupt die Anbringung von Bildnissen und
Gleichnissen im Gotteshaus, damit der Gläubige nicht durch Schmuck-
werk und diesseitige Beziehungen von der reinen Hingabe an die
geheimnisvolle jenseitige Ordnung mit ihren unabänderlichen sittlichen
und rituellen Machtgeboten abgelenkt werde. In anderen Fällen über-
wachten sie wenigstens die Ausführung, ordneten an und schränkten ein.
Auch da sollte verhindert werden, daß die geistige Welt des Glaubens
herabgezogen werde in die sinnliche Welt des Stoffes mit ihren aus-
gleichenden Duldsamkeiten.

Der Priester sieht und denkt noch weiter. Er wittert im Künstler,
im Dichter zumal, den Wettbewerber mit dem religiösen Künder, weiß
jedenfalls, daß dieser in jedem Augenblick dazu neigt, sich selbständig
zu machen. Der Form ihrer Mitteilungen nach sind ohnehin beide nahe
verwandt. Jeder große Prophet oder Prediger bedient sich dichterischer
Kunstmittel, oft sogar in fast mißbräuchlich verfeinerter Weise. Wer die
Predigten Bernhards von Clairvaux im lateinischen Urtext liest, ist über-
rascht von seiner geistreich antithetischen Wortspielkunst, dem christ-
lich mittelalterlichen Gegenstück zu Friedrich Nietzsches, des Anti-
christen, neudeutscher Zarathustrasprache. Die Bibel ist durchsetzt mit
Bestandteilen, die schlechthin als stärkste Dichtung zu werten sind, die
Gesichte der Propheten oder Apostel und die Gleichnisse Jesu von
Nazareth sind durchaus dichterischen Ursprungs.

In je größerer Höhe man die Beispiele sucht, umso deutlicher
erkennt man die Grenzen, die dem bloßen Künstler gezogen sind, wäre
er auch der berufenste Dichter. Auch der große Begnadete, der eine
Zeit neuen Glaubens einleitet, klebt nie an der kleinen bürgerlichen
Moral. Stets schaut er hinaus auf die großen Klippen und Zwiespälte
kommender Tage, setzt Gut und Bös wohl einander entgegen, setzt sich
aber auch gleichzeitig über die starr gewordenen Begriffe von Gut und
Böse hinweg, wie es auch Jesu von Nazareth nachweislich getan hat.
Bei allem lebt er jedoch nicht um zu gestalten, sondern zu künden, was
er lebt. Das scheidet ihn vom Künstler und hebt ihn über jenen hinaus.
Wenn je ein dichterisch begabter Mensch auf solche Höhe klimmt, hört
er auf, bloß zu dichten. Er bildet nicht mehr an einer erfundenen Schein-
welt herum, sondern sucht seinen Gegenstand in dieser Wirklichkeit zum
Leben zu erwecken. Er wird zum Prometheus, der die Menschen selber
zu formen strebt nach seinem Bilde. Höheres Gelingen kann einem Aus-
erwählten nicht beschieden sein.
 
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