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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0156
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BESPRECHUNGEN.

eingesehenen Gefühlswelt". In diesem Kreise, unter Bevorzugung der einen oder
anderen „Apperzeptionsstufe", hat sich jede Kunst zu bewegen.

Ähnlich geht die Gliederung der Künste vor sich. Wiederum wird ausgegangen
von einer Polarität, dem Klassischen und Romantischen (welchen Stilprinzipien die
Plastik und die Musik zuzuordnen sind). Auch hier ergibt sich aus den „Durch-
kreuzungsfunktionen" (Dichtung und Tanz) die gewünschte Tetranomie. Auch hier,
um nichts an der Symmetrie fehlen zu lassen, vollendet sich durch polare Aufteilung
die Zwölfzahl der „Kategorien der reinen Kunst" (§ 74). Besonderen Wert legt der
Verf. auf die Durchführung seiner Lehre für die Musik. Durch Anwendung seines
Polaritätsprinzips auf die Untersuchung der Struktur der Tonleiter findet er, daß
es nur zwölf elementare Zweiklangsspannungen gibt, denen wieder zwölf Gefühls-
kategorien zugeordnet sind. Die „ganzen tiefen und komplizierten Gefühlsspan-
nungen der Musik" sollen sich „zum großen Teil durch chemische Verschmelzungen
dieser zwölf Elemente zu den allerverschiedensten Gefühlsmolekülen" begreifen las-
sen (§ 81). Auf eine weitere Darlegung der Einzelheiten muß ich verzichten und
die Beurteilung den berufenen Theoretikern der Musik überlassen.

Die Freude, ein einigermaßen künstliches, zahlenmäßig starres Schema unter
den verschiedensten Formen in allen Regionen des Seins wiederzufinden und so ein
„System" zu errichten, ist in der heutigen Philosophie ziemlich ausgestorben. Auch
wenn dieses Schema polar konstruiert ist, fühlen wir uns leicht um die eigentliche
„Spannung", die Problematik der Probleme, betrogen. Dieser Umstand wird dazu
angetan sein, die Bewunderung für die vielseitige Durchführung eines einheitlichen
Gedankens einzuschränken. Wir wollen nicht an der metaphysischen Tiefe zweifeln.
Aber ist die kristallinische Regelmäßigkeit, in der sie der Verf. an die Oberfläche
bringt, wirklich eine ihr ursprüngliche Form?

Berlin. Helmut Kuhn.

Richard Kroner, Die Selbstverwirklichung des Geistes. Pro-
legomena zur Kulturphilosophie. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928. 225 S.

Das vorliegende kulturphilosophische System enthält unter anderem die Grund-
linien einer Ästhetik. Nur soweit es zu ihrer Charakterisierung erforderlich ist, haben
wir an dieser Stelle einen Begriff von dem systematischen Ganzen zu geben. Im
Zentrum steht der im wesentlichen Hegeische Begriff der „Versöhnung". Eine Ur-
entzweiung, die sich in Gegensatzpaaren wie Subjekt—Objekt, Kultur—Natur, Sinn—
Wirklichkeit, Verstand—Sinne ausdrückt, wird von der Tätigkeit des Bewußtseins
fortschreitend überwunden. „Eines für sich selbst oder mit sich selbst einig werden
ist der Sinn aller Tätigkeit des Bewußtseins — der Sinn aller Kultur-
tätigkeit" (S. 23). Die Form dieser progressiven Versöhnung ist dialektisch:
das Herstellen einer Einheit, aus der sich stets eine neue Entzweiung ergibt. Dia-
lektisch ist auch die Methode, diesen Vorgang reflexiv zu begreifen — gehört doch
die Reflexion selbst als ein notwendiges Glied in den Vorgang hinein. Die Gebiete
der Kultur folgen aufeinander in der idealen Reihenfolge des Einigungsprozesses
und unterscheiden sich nach dem ihnen innewohnenden höheren oder geringeren
„Versöhnungsgehalt". Es ergibt sich folgende Anordnung: 1. vital-zwecksetzende
Gebiete: Technik und Wirtschaft. Diese Stufe liefert noch keine „echten Objek-
tivationen des Bewußtseins", sie ist nur das Fundament, „die Vortätigkeit des sich
kultivierenden Geistes" (S. 116). Dann, in der eigentlichen Sphäre der Kultur:
2. die rational-unterwerfenden Gebiete: Wissenschaft und Politik; 3. die intuitiv-
verschmelzenden Gebiete: Kunst und Religion. Endlich 4. als Abschluß, der sich in
der philosophischen Reflexion mit dem Anfang zusammenschließt, die reflexiv-
 
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