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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0161
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BESPRECHUNGEN.

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Kunst schätzen wir dagegen als höchsten Ausdruck einer solchen ein1). Die Analogie
wird uns also immer zuletzt im Stich lassen, weil Wesentliches unbeachtet bleibt.
Doch deshalb brauchen wir uns den Ertrag eines umsichtigen Vergleichs nicht ent-
gehen zu lassen.

Der Traum bei Nacht bleibt immer die Grundtatsache jeder Theorie des Un-
bewußten. Sein Gegenteil ist die bewußte Haltung und Bereitschaft zu handeln bei
Tage. Im Schlaf befangen, ist der Träumer nur das leidende Subjekt seiner Ge-
sichte, während die Traumgestalten desto aktiver beschäftigt erscheinen. Da drängt
sich die Frage auf: wie kann ein Gedanke bewußter und zielstrebiger Reflexion, der
den Geist vielleicht manche Tage und Wochen beherrscht, in den nächtlichen Traum-
zustand eingehen und dessen Ablauf bestimmen? Sowie wir einschlafen, ist der
praktische Zweck schon lahmgelegt, alle Möglichkeit der Ausführung abgeschnitten.
Und doch steckt er als Einheit hinter dem Puppenspiel des heimlichen Theaters.

Die Kunst der Poesie bietet dem Forscher der Ästhetik einzigartige Schwierig-
keiten und auf Grund ebenderselben reichste Anregung für eine Theorie des Schönen.
Manchmal müssen wir eingestehen, der Intellekt, den man sonst durchgehends als
ihren Leiter anspricht, ordne sich ganz andern Absichten unter. Wenn diese Aus-
schaltung irgend einer tatsächlichen Eigenschaft der Dichtung entspricht, muß sich
das nämliche nicht auch in andern Künsten beobachten lassen? Lassen wir solche
vorwaltende Neigung hier noch unausgesprochen, so dürfen wir doch voraussetzen,
daß sie anderweitig ihr Recht behaupten werde. Die Musik z. B. und auf alle Fälle
die instrumentale, von der menschlichen Stimme nicht mehr abhängige, scheint in
besonderm Grade frei von den Banden der Verstandestätigkeit. Sie könnte somit,
besser als die Dichtkunst, die nicht-intellektuelle, vielleicht überhaupt nicht bewußte
Tendenz aufweisen.

Der überall hervortretende Gedankengehalt der Dichtkunst hat die älteren Theo-
retiker veranlaßt, ihn zum Ausgangspunkt zu machen, als ob die sogenannte Idee
herausgeschält und für sich behandelt werden könnte, und so gelangten sie dazu,
allen ästhetischen Wert der Poesie im Wert der Idee beschlossen zu glauben.
Die Expressionisten dagegen und deren Verwandte haben also mit Recht wider diese
vermeintliche Aussonderung der Idee Einspruch erhoben. Mein Gefühl hat mir indes
immer gesagt, daß die Expressionisten das Tiefste und Interessanteste, zugleich
aber Wirklichste der Dichtkunst und der andern Schwestern sich entschlüpfen lassen:
sie sind nicht imstande, die Künste zum Leben in Beziehung zu setzen. Da sie nicht
zu sagen vermögen, wie die Kunst aus dem Leben entspringt, sind sie auch nicht
fähig zu sagen, welche Wirkung die Kunst hinwieder auf das Leben ausübe, und wie
große Meisterwerke die folgenden Generationen, denen sie als Erbteil zufallen, be-
einflussen.

Das Dichten ist eine höchst differenzierte Form der Erfahrung, die eben dank
dieser Differenzierung nicht mit andern nichtästhetischen Formen der Erfahrung
verwechselt werden kann. Aber das Ästhetische und das Nichtästhetische sind so
eng verbunden, daß die Formulierung der gegenseitigen Abhängigkeit und der Zwi-
schenbeziehungen oft eine Aufgabe von äußerster Verwicklung heißen mag. Doch
bleibt es allein durch solche Formulierung möglich, das Verhalten des Dichters
gegenüber seiner Kunst aufzudecken, — das Kriterium für das, was an seinem Werk
lebendig ist. — Die Dichtkunst gewährt so einen besondern Weg der Untersuchung,
der nicht umgangen werden kann. Dann aber sollten jegliche wahrhaft ästhetischen
Tatsachen, die in dieser Sphäre angetroffen werden, auf alle anderen Sphären der

J) D. h. wir Modernen; für die Anfänge wäre das jedoch eine unhistorische Vor-
ausnahme. S.

Zeitschr. für Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXIV.

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