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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0179
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BESPRECHUNGEN.

163

Um daher dem Studierenden zur Orientierung zu verhelfen und zugleich dem Dozen-
ten Richtlinien für musikästhetische Diskussion zu bieten, hat der Herausgeber es
in dankenswerter Weise unternommen, in die musikästhetische Gedankenmasse
systematische Gliederung zu bringen. Diese schickt er in einer kurzen Übersicht
und in einem systematisch geordneten Inhaltsverzeichnis dem Buche voraus und
erläutert sie in einer ausführlichen Einführung. Sein System besteht darin, daß
alle musikästhetischen Ansichten zwei prinzipiell entgegengesetzten Auffassungs-
weisen untergeordnet werden: die eine sieht Gesetz und Wesen der Musik in einem
ihr Fremden, in einer außerklanglichen Wirklichkeit, in der sie d( n ästhetischen
Wert der Tonkunst sucht, die andere findet die ästhetischen Normen der Musik in
ihr selbst, in den Tongebilden als solchen, und ist überzeugt, daß Klangphänomene
nur aus sich selbst ästhetisch erklärt und bewertet werden können. Die erste An-
schauung nennt Gatz Heteronomieästhetik, die zweite Autonomieästhetik. Da sich
nicht alle Musikästhetiker genau diesen beiden Kategorien zuordnen lassen, hat
eine Zerlegung der Heteronomieästhetik in 5, der Autonomieästhetik in 2 Unter-
abteilungen stattfinden müssen, welche Übergänge der einen Hauptgattung zur
anderen darstellen. Für die Heteronomie werden unterschieden: dogmatische In-
haltsästhetik, Formästhetik, partielle, fiktionalistische Inhaltsästhetik, Inkarnations-
ästhetik; für die Autonomie: Musik als annähernd autonom gedachte Kunst, Musik
als absolut autonom gedachte Kunst. Der Versuch, die vielfältigen Betrachtungs-
weisen in dieser Art zu ordnen, ist wertvoll, weil er der Weg zur Klarheit ist; das
Wichtigste jedoch an dem von Gatz aufgestellten System ist die Unterscheidung von
Heteronomie und Autonomie in der Musikästhetik. Es ist außerordentlich verdienst-
voll, daß hier einmal diese beiden sich widersprechenden Auffassungen der Ton-
kunst in aller Schärfe einander gegenübergestellt werden, denn es ergeht an den
Musikästhetiker die Forderung, sie klar zu erkennen und sich für eine von ihnen
zu entscheiden.

Gatz selbst bekennt sich unbedingt zu der Anschauungsweise, welche in der
Musik, und zwar in aller Musik, eine autonome Kunst sieht, und damit steht er
auf der Seite einer für die Musikästhetik grundlegenden Wahrheit: es ist wirklich
unmöglich, die Normen einer akustischen Kunst im Unhörbaren zu finden, wie die
musikalische Heteronomieästhetik es will. Aber Gatz glaubt, so scharf er das
Autonome der Musik betont, doch, daß Heteronomie (Inhaltsästhetik) und Auto-
nomie sich in der Musikästhetik vertragen können, weil die Vorstellung, die der
Heteronomist vom Gegenstande der Musik hat, der des Autonomisten nahe steht
und psychologisch begreiflich ist. Es gäbe zwar nur eine, und immer autonome
Art von Musik, aber in ihr doch zwei verschiedene Sachverhalte oder Gegenstände,
deren einer (das Klangliche) zum anderen (dem Außerklanglichen) hinstrebe. Da-
mit wird auf das musikalische Als-Ob hingewiesen: es ist oft so, als ob Musik
außerklangliche Inhalt vermitteln könne. Wenn dies nun auch zutrifft, so gibt es
uns m. E. doch nicht das Recht, von zwei Gegenständen der Musik zu sprechen.
Ihre Autonomie kann nur ein und demselben Gegenständlichen innewohnen. Wel-
ches dies autonome Gegenständliche ist, erfahren wir von Gatz nicht völlig. Er
kommt der Antwort allerdings nahe, indem er sagt, die Autonomie bezöge sich auf
tönende Ganzheiten, aber das muß doch deutlicher ausgesprochen werden, denn
sonst bleibt der Autonomiebegrift leer. Die hier zu fordernde Ergänzung müßte
lauten: der Gegenstand der musikalischen Autonomie ist die physikalisch begründete
Harmonik in ihrer elementar-affektvollen Erscheinungsweise. Das würde dann voll-
kommen damit übereinstimmen, daß Gatz den Gegensatz von Inhalt und Form in
der Musikästhetik aufgehoben wissen will, womit er völlig im Recht ist. Denn
 
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