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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0186
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170

BESPRECHUNGEN.

digsten Beispiele für die entsprechenden Weltbilder, weil ihre Form wesentliche Ent-
hüllung' von Seele und Geist, In-Erscheinung-treten der Ganzheit ist. Den Inhalt des
Kunstwerks bilden seine „Gegenständlichkeit", sein „Grundgefühl" und seine „Be-
stimmung". Die Form aber ist das Spezifische des dichterischen Erlebnisses und die
charakteristische Hervorbringung der im dichterischen Erlebnis zugrunde liegenden
Einstellung zur Welt. So kommt es, daß den drei menschlichen Urzuständen die drei
dichterischen Grundformen entsprechen. Das Kunstwerk betont entweder den äuße-
ren Zusammenhang der Dinge (statisch), oder die Bewegtheit der Seele (dynamisch),
oder das Gerichtetsein des Geistes (normativ). Dichterischer Ausdruck in sta-
tischer Form ist nach Spoerris Meinung das Epische, in dynamischer Form das
Lyrische, in normativer Form das Dramatische. — Diesen Grundverschiedenheiten
entsprechen verschiedene ästhetische Erlebnisse, verschiedene Spannungen der Form
und eine steigende Funktionswichtigkeit der Formung überhaupt.

Auf breitem Raum unternimmt es schließlich der Verfasser, mit diesen Kate-
gorien eine Anzahl konkreter Dichtungen zu deuten. In großen Schritten von Goethe
bis Proust, Valery und Pirandello eilend versucht er die Grundformen des Daseins,
gewonnen aus dem allgemeinen Bereich des Menschlichen, gefestigt in der Pro-
blematik des Dichtungsästhetischen, an der rhythmischen Lebendigkeit einmaliger
Schöpfungen lichtvoll werden zu lassen und dadurch diese Schöpfungen selbst zu
erleuchten. —

Es ist nicht zu bezweifeln, daß das „Präludium zur Poesie" geeignet ist, Spoerris
Lehre von der „dreifachen Wurzel der Poesie" verständlich zu machen. Besonders
weil die zahlreich angefügten Einzeldeutungen in der Tat die Aufgabe erfüllen, „das
Kunstwerk zugleich vertrauter und geheimnisvoller" erscheinen zu lassen. Die glück-
lichste Wendung des Buches aber ist darin zu sehen, daß die Dreiheit der Dimen-
sionen mehr auf die einzelne Deutung als auf die Erklärung der drei Dichtungs-
gattungen zugespitzt ist. Denn unser Bedenken richtet sich nicht gegen die von
Spoerri aufgewiesenen Typen. Sie bilden ein mögliches Schema wie andere auch.
Es richtet sich ebensowenig gegen die feinsinnige Anwendung solcher Typen im
konkreten Kunstbereich. Es mag dadurch für den alles gesagt sein, dem die Spoer-
rischen Grundbegriffe die entscheidenden Verstehenszentren sind. Die Gefahr be-
ginnt vielmehr erst da, wo die Gattungen der Dichtkunst mit solcher Typologie zur
Deckung gebracht werden sollen. Man kann natürlich das Normative zugleich ein
„Dramatisches" nennen. Aber es ist nicht richtig, daß man damit schon das Wesen
des Dramatischen erklärt hat. Hier kann man dem Verfasser mehr als eine histo-
risch-statistische Berechtigung nicht zusprechen. Für jede ins einzelne gehende Er-
kenntnis vom Wesen des Epos oder des Dramas, die eine stichhaltige ästhetische Defi-
nition der Gattung und ihrer Gesetze nicht entbehren kann, ist die Spoerrische
Klassifikation eine leicht irreführende Schematisierung. — Der Übergang vom
Menschheitstypischen ins Typische des Einzelwerks ist einleuchtend. Die Paralle-
lität zwischen solchen Typen und den Gattungen des Dichterischen aber eine gefähr-
liche Verallgemeinerung. Man kann den Sinn einer Dichtung in den Sinn einer
menschlichen Grundhaltung ausmünden lassen, nicht aber das ästhetische Wesen
einer Dichtungsgattung. Hier wird die objektive Betrachtung einer Wesensgesetz-
lichkeit in den Bereich verführerischer Antithesen gelockt. — Das wird klar, so-
bald wir an das Wertverhältnis der Spoerrischen Typen denken. Hier führt nämlich
nach Spoerri die umfassende Stellung des Normativen gegenüber der Polarität von
Statischem und Dynamischem gattungsmäßig gesprochen zu einer Art Additions-
theorie des Dramas, über die wir hinaus sein sollten.
 
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