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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Urries y Azara, J. Jordán: Umschaffen und Nachschaffen in der Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0316
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BEMERKUNGEN.

zur freien, sondern zur gebundenen Kunst. Untersuchen wir, ob das erstere
möglich und das letztere annehmbar ist. Versuchen wir, diese Frage zu lösen, in-
dem wir die verschiedenen Arten des Umschaffens und des Nachschaf-
fens, die in der Kunst auftreten können, analysieren und in jedem Falle unter-
suchen, welches die Voraussetzungen der betreffenden Arbeit sind und welche
Wirkung sie erzielt. Wir beginnen mit den verschiedenen Arten des Um-
schaffens.

Von Um schaffen spricht man in erster Linie in all den zahlreichen Fäl-
len, in denen die Inspiration des Künstlers nicht von der Natur, son-
dern von einem Kunstwerk ausgeht, d. h. immer dann, wenn er in
seinem Werke der Wirkung Ausdruck gibt, die die Betrachtung eines anderen
Werkes in ihm hervorruft. Das ist der Fall bei Übertragung, bei Transformation
eines Werkes in ein anderes. Man sagt, daß derjenige, der sich dieser Arbeits-
weise in der Kunst bedient, sich in hohem Maße der Freiheit beraubt sehen muß,
so daß sein Werk nicht als frei gelten kann. Ich kann dieser Begründung für das
Fehlen einer Freiheit, soweit es sich um künstlerische Freiheit handelt und auf
die künstlerische Arbeit des Autors bezieht, nicht zustimmen. Denn das Werk,
von dem der Autor inspiriert worden ist, liefert ihm lediglich den Stoff, den er
in diesem Falle aus der Kunst nimmt, wie in anderen Fällen aus der Natur; oder
wenn der Stoff ihm aufgetragen wird — der Künstler entnimmt oder erhält ihn
immer —, ist er zwar nicht seine Schöpfung, es verbleibt ihm aber doch absolute
Freiheit in der Art, wie er den Stoff konzipiert und ausführt; darin besteht seine
Arbeit als Künstler. Alles, was darin Schöpfung ist, ist sein Werk. Alles, was
er der Intuition des Betrachters darbietet, ist etwas Neues, das wir gewöhnlich in
dem Werk, an dem er sich inspirierte, nicht sehen und das nur in dem umgeschaffenen
Werke existiert. Ein Um schaffen dieser Art ist in demselben Sinne Kunst,
wie es reine Kunst nur sein kann. Diejenigen, die das nicht anerkennen, berück-
sichtigen nicht, daß die Stoffe der griechischen Tragödie aus dem Epos entlehnt
wurden, ebenso wie das spanische Drama von seinen Autoren aus den Romanzen
geschöpft wurde; sie berücksichtigen ferner nicht, daß die hellenischen Plastiker
in Marmor darstellten, was die Dichter konzipiert hatten. Man kann nicht ein-
mal behaupten, daß das Umschaffen, von dem wir hier sprechen, immer
leichter ist und bessere Erfolge bringt, wenn die inspirierende und die inspirierte
Kunst einander nahestehen. Der Erfolg hängt immer davon ab, ob der Stoff ge-
eignet ist, mit den Mitteln der zweiten Kunst ausgedrückt zu werden, und sich
außerdem für die der ersten geeignet hat; und das ist der Irrtum, der bei der
Illustrierung von Gedichten oft unterläuft; ein Stoff kann für eine Kunst geeignet
sein, die sich an die Einbildungskraft wendet, wie die Dichtkunst, braucht es
aber nicht zu sein für eine Kunst, die sich an das Auge wendet, wie z. B. die Zeichen-
kunst (ganz abgesehen davon, daß man bei dem Versuch, mit diesen beiden verschie-
denen Künsten eine einheitliche Wirkung bei dem Betrachter hervorzurufen, an der
Verschiedenheit ihrer Darstellungsweisen und der Art, wie sie dem Beschauer
gegenwärtig werden, scheitert). Im allgemeinen weiß man seit Lessing, daß es
unangebracht ist, bei den Raumkünsten solche Stoffe zu behandeln, die sich nur
für die Zeitkünste eignen. Weiter ist es bekannt, daß bei Eignung eines Stoffes
für verschiedene Ausdrucksweisen seine Konzeption in jedem Falle mit einer für
ihn möglichen Ausdrucksweise harmonieren muß. Eine im Kern einheitliche
Kunst, die sich auf verschiedene Weise gestalten ließe, kann es nicht geben. Daher
habe ich meine Darlegungen mit der Erörterung des Verhältnisses der beiden
Formen und mit der Frage, ob es möglich ist, daß ein Künstler sich an der
Kunst inspirieren kann, begonnen. Menendez Pelayo ist als Dichter ein sehr
 
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