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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Kampmann, Wanda: Goethes "Propyläen" in ihrer theoretischen und didaktischen Grundlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0046
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WANDA KAMPMANN.

daß die griechische Plastik die „Naturformen" des Menschlichen fest-
gelegt, den Kreis der möglichen Erscheinungen geschlossen habe. Eine
solche, im Sinn der Metamorphose erkennbare, d. h. schaubare Gesetz-
mäßigkeit bringt Goethe zu dem Ergebnis, daß auch im Bereiche der
Kunst nicht alles der Intuition, der subjektiven Willkür des einzelnen
angehören dürfe, sondern daß feste Kunstbegriffe sich vermitteln lassen.
Und so nähert er sich dem antik-renaissancistischen Gedanken von der
relativen Lehrbarkeit der Kunst, einer Anschauung, die der Sturm und
Drang in seiner Abrechnung mit dem französischen Klassizismus bereits
überwunden hatte, die jetzt aber auf einem ganz anderen Wege wieder-
gewonnen wird.

Die Ausbildung dieser Gedanken ist in der nachitalienischen Zeit
Goethes deutlich zu verfolgen. Die Aufsätze im Teutschen Merkur „Ein-
fache Nachahmung, Manier, Stil", die „Baukunst" zeigen die Neigung
zur begrifflichen Klärung, die Briefe an Heinrich Meyer nach Italien
geben unverhüllt das Ringen um die gültige Erkenntnis und Einordnung,
um den festen Maßstab, der jetzt endgültig der antiken Kunst entnom-
men wird. Goethe beurteilt z. B. Meyers Zeichnungen nach den neu-
gewonnenen Grundsätzen. Wer die im Grunde dilettantischen und auch
technisch sehr unvollkommenen Blätter durchsieht1), wundert sich viel-
leicht über den allzu großen Aufwand an künstlerischem Ernst und an
Methode in seinem Urteil. Goethe denkt das Bildthema selbst ganz durch
und bemüht sich, daraus die notwendige Komposition zu entwickeln, die
von allen möglichen doch die einzig vollkommene wäre. Er übt ein Ver-
fahren, das er später im Laokoon-Aufsatz meisterhaft angewendet hat,
nämlich die Komposition der Gruppe versuchsweise umzudenken und
durch diesen indirekten Beweis die „Richtigkeit" der Darstellung zu er-
hellen. „Sie komponieren aus denselben Grundsätzen, wonach ich ur-
teile", schreibt er dem Freunde, „und wenn ich recht urteile, so haben Sie
auch recht."

Der wesentliche Gehalt des Briefwechsels aber liegt in dem großen
Plan einer umfassenden Darstellung Italiens. Erst seit man 1904 den
Handschriftenband veröffentlichte, der unter dem Titel „Vorbereitung zur
Zweiten Reise nach Italien"2) eine schwer zu übersehende Fülle von Ent-
würfen, Schemata und Kollektaneen enthielt, und als 1917 der Brief-
wechsel mit Meyer in vollem Umfange bekannt wurde, war ein Werk
deutlich zu übersehen, mit dessen Ausführung sich Goethe jahrelang be-
schäftigt hat. Dieser sonderbare und gigantische Plan, der die „drei
großen Weltgegenden" der Natur, Kultur und Kunst als ein empirisch
möglichst Vollständiges, in der Idee Ganzes zu fassen dachte, sollte weit

!) H. Meyers Zeichnungen, hrsg. von Hans Wahl, Sehr. d. Goethe-Oes., Bd. 33.
-) Weimarer Ausgabe, Bd. 34, IL
 
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