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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0103
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BESPRECHUNGEN.

89

zur Tempelanlage als Abbildung des Universums erweitert. Als Holzarchitektur
entbehrt sie allen statischen Ausdrucks im Stützensystem, Torbau und der gleich-
sam schwebenden Dachbildung. So zeigt die ostasiatische Kunst durchweg das
Gepräge einer noch eng mit primitiver Vorstellungsweise zusammenhängenden, wenn
auch von höchst verfeinertem Geschmack beherrschten Gestaltung. Der gleichen
Wertung unterliegt m. E. auch die ostasiatische Geisteshaltung auf den Gebieten
der musischen Künste, wie ihre verständnisvolle nachfolgende Erörterung er-
kennen läßt. Durchweg arbeitet der Chinese durch Synthese primitiver Gebilde,
wie in seiner einsilbigen flexionslosen Sprache. Die Schrift baut sich nicht auf
dem Laut, sondern unmittelbar auf dem Begriff in bildhaftem Ausdruck auf, der
seine Abwandlung nur durch Zusammensetzung oder Umkehrung der Zeichen
erfährt, was die Abstraktion außerordentlich beschränkt. Mit dem Sprachlaut
verbindet sich hingegen aufs innigste die Musik, die weder Intervall noch
Harmonie kennt, sondern nur eine chromatische Bewegung auf der Halbton-
skala des (Pythagoräischen?) Quintensystems. Sie dient dem Ausdruck und der
Regelung des Innenlebens, wie die Sitte der des äußeren. In der Dichtung
herrscht die reine (sagen wir die passive) Lyrik vor. Die philosophische Ethik
lehrt Einordnung des menschlichen Willens in den Weltlauf der Natur, demgemäß
des Herrschers unter den Volkswillen, und Vermeidung jeden Übermaßes, auch
der Tugendübung — also der Hybris. Das steht freilich alles im schroffsten
Gegensatz zum heroischen Streben des Abendlandes nach Beherrschung der Natur,
das seine „geistige Überlegenheit" zweifellos oft mit ethischer Verkümmerung
bezahlen muß, schwerlich jedoch mit schwächerer Entfaltung des Sinnenlebens im
künstlerischen Gestalten. Den überwiegend qualitativen Charakter der chinesischen
Kultur kann man anerkennen, ohne ihr eine höhere Entwicklung nach dieser Rich-
tung beimessen zu müssen. Das hieße den ästhetischen Wert des Illusionismus
leugnen, in dem die ostasiatische Kunst nicht einmal den Höhepunkt der Antike
gewonnen hat. Daß sie andere Möglichkeiten in sonst nirgends vorkommender
Vollendung verwirklicht hat, kann man höchstens in demselben Sinne und Umfang
gelten lassen, wie für die islamische Kunst die unvergleichliche Durchbildung des
Flachornaments. Es liegt nur an der Fragestellung der ganzen Betrachtung,
welche die Entwicklung der qualitativen Inhalte des abendländischen Kunst-
schaffens nur berührt, aber weder dem Formwandel noch der Farbengebung nach-
geht, daß der rationale Aufbau seiner Schöpfungen allein so vorherrschend er-
scheint. Und doch verdankt es eben dem Bunde mit dem wissenschaftlichen Ratio-
nalismus seinen auch die Antike überragenden Aufstieg. In dem umfassenden
Nachweis dieses Grundverhältnisses sehe ich den Hauptgewinn der vergleichen-
den geistesgeschichtlichen Betrachtung Freys. Daß sie nicht mehr auf das XVIII.
Jahrhundert ausgedehnt zu werden brauchte, erklärt sich wohl eben aus den
vorwiegend qualitativen Fortschritten desselben und der sich auch durch das
XIX. Jahrhundert gleichbleibenden theoretischen Grundlage aller westeuropäischen
künstlerischen Gestaltung. Erst in der Gegenwart regen sich etwa seit dem Auf-
kommen des Expressionismus in seinen mannigfachen Bestrebungen Kräfte, welche
die herkömmlichen Bahnen verlassen und neue Richtungen suchen. Zu ihnen
nimmt der Verfasser auf den letzten Seiten Stellung. Er ist geneigt, in ihnen die
Auswirkungen eines allgemeinen Wandels der rationalen Vorstellungsweise von
Raum und Zeit zu erblicken, die für die mathematisch-physikalische Weltbetrach-
tung durch die Relativitätstheorie zu Funktionen einer vierdimensionalen Welt
geworden sind, während die Geisteswissenschaft alles Geschehen aus dem Be-
griff der realen Zeit im Sinne einer fortgesetzten Zeugung verstehen will (Berg-
 
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