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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Hoerner, Margarete: Die Naturanschauung des Spätbarock in Literatur und bildender Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0159
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BEMERKUNGEN.

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Auf Brockes wirkt die Natur weniger feucht und dunstig. Aber auch bei ihm
treten die Gegenstände nicht auseinander. Hier überwiegen die unbestimmteren
Empfindungen des Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinnes die optischen. Ob Erde,
Rasen, Knospen oder Blätter, alles vergleicht er mit Samt, Seide oder Atlas. Zu
den Ambradämpfen kommt bei ihm der Geruch von „Honig, Mandel-Milch, Most,
Pfirschkern, Zimmetrinden", wobei „mit holder Süßigkeit ein wenig Säuerliches
und Bittres sich verbinden". Gerade das Unbestimmte, Exotische dieser Gefühls-
und Geschmacksempfindungen wird immer wieder hervorgehoben. Die Lyrik Goethes
und Schillers enthält kaum kompliziertere Geruchsschilderungen, ganz unent-
wickelt ist darin das Gefühl. Der klassische Mensch tastet Formen, aber nie das
Rauhe oder Weiche, Sanfte und Glatte, während der barocke hier noch weit
detaillierter, weit empfindlicher, aber auch präziser vorgeht. Er wertet darin das
Auseinandertreten der Einzelobjekte, nicht das Unbestimmte und schwer Definierbare.

Auch bei Brockes werden Farben vielfach durch Mineralien ersetzt1). Wo kein
solches ausdrücklich genannt ist, finden wir doch seine Eigenschaften. Starke Far-
ben werden auf ihren Helligkeitsgehalt als Glanz und Licht gewertet, nie als Kon-
trast gegeneinander ausgespielt. Dagegen befähigt die Vorliebe für das Opalisie-
rende den Dichter des 18. Jahrhunderts, alle feinen, nah aneinanderliegenden Farb-
nüancen zu empfinden und wiederzugeben. Eine Symphonie in Grün kann man
Brockes' Schilderung des Grases in dem Gedicht „Das Gras im Anfang des Früh-
lings" nennen:

„Doch, da auf jedes Blatt das Licht verändert strahlet,

Wird jedes auch dadurch absonderlich gemalet.

Bei vielen siehet man auf den gebognen Spitzen

Im glatten Widerschein ein glänzend Lichtgen sitzen.

Durch viele, die durchsichtig, strahlt und bricht

Ein durch ihr zartes Grün gemildert gelblich Licht,

So, daß kein Chrysolith so grünlich-gelb, so rein,

Als die durchsichtigen bestrahlten Spitzen sein.

Die niedrigsten, wenn jene sie verdunkeln

(Wodurch sie jener Glanz noch mehr erhöhn)

Im schattigen, vertieften Grünen funkeln,

Wodurch Saft-, Celadon-, Mai-, Gras-, und dunkelgrün

Hier einzeln, dort verknüpft, die Augen auf sich ziehn.

Ja, dies verschiedne Grün, das Aug und Herz erfrischet,

Ist so verwunderlich, so angenehm gemischet,

Daß man Smaragd und Chrysolith

So strahlengleich kaum glänzen sieht

Und dieser durch die Fern und Luft vereinte Glanz

Zeigt aus so manchem Teil ein unvergleichlich Ganz2).
Eine Symphonie in Schwarz-Weiß mit mattem Grün und Blau ist das Gedicht über
den Mond. Goethe sagt: „Der Mond ging auf und beleuchtete ungeheure Gegen-
stände"3), wie überhaupt das Wort „Gegenstand" Lieblingsausdruck der Zeit ist.
Bei Brockes rinnt die Schilderung immer sehr zierlich, niemals stark, niemals

*) Daß man tatsächlich nur die Farbe im Auge hatte, erweist folgende Zeile:
„Des riechenden Saphirs, des niedern Veilchen Duft". Auch dieses seltsame Bild
spricht für das geringe Forminteresse gegenüber den Färb- und Geruchs-
empfindungen.

-) Ähnliche Betrachtungen finden sich wieder in einem späteren Gedicht „Ver-
schiedenes Grün".

') Italienische Reise.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allff. Kunstwissenschaft. XXV. tri
 
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