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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0209
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BESPRECHUNGEN.

195

Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen zu zeigen, wie Heuslers Verslehre
sich an der Geschichte des germanischen und des deutschen Verses bewährt. Das
Erlebnis des Stabreimverses, den Heusler als gemeingermanische Kunst auch im
Altenglischen und Altnordischen betrachtet und nach der Zweihebungslehre rhyth-
misch deutet, kann durch Nachzeichnung der theoretischen Betrachtung allein
nicht übermittelt werden; es fordert Versenkung in die Sprache und ihren Gehalt,
in das Dichtwerk und seine Gedanken- und Empfindungswelt; in den Rhythmus
der Verse, der sich nur im Gehörserlebnis ganz erschließt. Die Vertrautheit mit
dem Stabreimvers ist Voraussetzung für das Verständnis des Reimverses, dem
Otfried als erster Nachahmer fremder Formen um 850 den Weg bahnt. Die
wechselvollen Schicksale des Reimverses werden verfolgt in der altdeutschen Zeit
(althochdeutsch und frühneuhochdeutsch) vom 9. bis 14. Jahrhundert, im frühneu-
deutschen Zeitraum des 14. bis 16. Jahrhunderts, und in der neudeutschen Dicht-
kunst, die von 1600 bis 1750 im Zeichen der Opitzischen Neuerung steht und nach
1750 von Klopstock und Goethe zu Gipfeln geführt wird, die zugleich Durchbruch
des heimischen Sprachgefühls und Rhythmensinns, wie Meisterung übernommener
Formen bedeuten. In der Gegenwart tritt der nie ganz erloschene germanische
Formensinn hier und da in die Erscheinung; doch fehlt den Heutigen die rhyth-
mische Reizbarkeit.

In seinem Nachwort (III Seite 403) bekennt Heusler als die Hauptabsicht sei-
ner Versgeschichte, „die bunte Wirklichkeit der Verse zu klären". Er sieht die
Behandlung der metrischen Wesensfragen — die wir dem Charakter der Zeitschrift
für Ästhetik entsprechend in den Vordergrund gestellt haben — nur als ein
Mittel zu diesem Zwecke an. Letztes Ziel aber ist ihm die Erfüllung der hohen
Aufgabe: „Erziehung des Ohres — wie der Raumkunst-Forscher das Auge erzieht."
Man darf sich ihm für diese Gehörbildung und Schulung des Rhythmensinns voll
anvertrauen. Doch dazu kann kein Mittler helfen, der sich aufs geschriebene Wort
beschränken muß.

Berlin. Gertrud Jung.

Lessings Werke. Vollständige Ausgabe in fünfundzwanzig Teilen. Heraus-
gegeben von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen. Berlin, Leipzig,
Wien, Stuttgart (o. J.). Deutsches VeTagshaus Bong & Co.
Diese sehr beachtenswerte Ausgabe der Lessingschen Werke wird eingeleitet
mit einem Lebensbild, das Julius Petersen entworfen hat. In deutlichen und feinen
Strichen wird das Bild des so reichen, schweren, kurzen Daseins gezeichnet. Der
vierte Band bringt die Literaturbriefe und den „Laokoon". Jene, obwohl ganz aus
der Zeit hervorgegangen, sind zeitübei legen als Vorbild schöpferischer Kritik: wie
sie von Einzelerscheinungen zum Wesenhaften vordringen, vom schärfsten Aburtei-
len zu der Erkenntnis empo. steigen, daß jeder Meister einer Kunst die Regeln
gibt — das sichert ihnen noch heute hohen Wert. Desgleichen ist am „Laokoon"
das langsame Fortschreiten zum Allgemeinen als Muster einer kunsttheoretischen
Untersuchung zu rühmen. Hier aber besitzt nun auch der Inhalt für uns die größte
Bedeutung, vor allem der Gedanke, daß die Eigenart jeder Kunst durch seine Wir-
kungsmittel bestimmt wird; mit Recht wird von dem Herausgeber Walther Riezler
darauf hingewiesen. Von der Hamburgischen Dramaturgie (5. Band) sagt Peter-
sen, daß in ihr die Tendenzen der Literaturbriefe und des „Laokoon" sich durch-
dringen. Ich selbst habe einmal im Theaterwissenschaftlichen Institut der Berliner
Universität Übungen im Anschluß an die Dramaturgie veranstaltet und mich davon
überzeugt, wie fruchtbar Lessings Gedanken noch heute sind; allerdings, die Aus-
 
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