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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Luther, Friedrich: Ästhetische Werte des Films
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0278
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264

BEMERKUNGEN.

Die zweite der reinen Filmkünste, die am stummen Film geschaffen worden sind,
besteht in der Darbietung von Laufbildern, die in photographischer Wiedergabe
eines gestellten Wirklichkeitsscheins eine Geschichte erzählen. Hier können keine
zureichend künstlerisch vorbestimmten Bildeindrücke als solche gegeben werden, hier
wird aber auch die ästhetische Wertigkeit der wiedergegebenen Wirklichkeit gemein-
hin nur nebenher bewußt, hier wird im wesentlichen vielmehr mittelbar mit Hilfe
der Bildeindrücke, wie vergleichsweise beim Lesen mit Hilfe der Wörter, eine an
sich unanschauliche Abfolge von äußeren Und seelischen Erlebnissen dargestellt, so
daß vergleichbar dem Roman oder Epos jenseits der Laufbilder selbst eine erfüllend
vorbestimmte Schöpfung ästhetischer Wertigkeit erwachsen kann. Die außerordent-
liche Leichtverständlichkeit, Lockkraft und Suggestivkraft des Spielfilms ist gerade
auch in diesem Moment begründet, daß der stumme Spielfilm Gedankengänge, Er-
lebniszusammenhänge, Unanschauliches in anschaulichen Elementen vorführt, zu
einem intellektuellen Begreifen durch nicht-intellektuelles Mittel nahebringt. Das An-
schauliche als solches ist bei weitem nicht so leichtverständlich und suggestiv, vor
allem viel inhaltloser und darum reizloser, wie auch die Übertragung des Un-
anschaulichen in unanschaulichen Mitteln niemals gleich leichtverständlich und sug-
gestiv ist. Es gibt zahlreiche Spielfilme, die in solcher, das Unanschauliche an-
schaulich erzählenden Art ästhetisch zu packen vermögen. Zum Beispiel ist der
Ben-Hur-Film zu erheblichem Teil ästhetisch wirksam erzählt. Bezeichnend für die
erzählende Art des ästhetisch wertigen Spielfilms ist hierin etwa das Darreichen
des Wassers an den verdurstenden Ben-Hur durch Jesus, man sieht diesen hierbei
gar nicht, sondern nur das Darreichen des Wassers, das allein im Augenblick inter-
essiert. Eine der besten Stellen in diesem Film ist das Pferderennen in Antiochia;
es ist unerhört packend, wie die Wagen aus der Leinwand sagittal vorjagen, weil
durch das überstürzte perspektivische Nahkommen der rasenden Gefährte, nachdem
sie vorher in ihrer Bedeutung deutlich geworden sind, der Eindruck des Tempos
und der Gefährlichkeit erzählend überbracht wird, während bildhaft genommen diese
Szene wertlos, ja unangenehm wäre. In guten Filmlustspielen ist stets die Situations-
komik besonders wirksam, sowohl das real unmögliche Gejage mit allerlei Über-
raschungen, das der Film eingeführt hat, wie die intellektuelle Situationskomik, die
er vom Theater übernimmt, wie sie in moralisch verlegenen Situationen, etwa im
unerwarteten Beieinander zweier Liebesrivalen zum Ausdruck kommen kann. Die
Schauspielkunst hat im Spielfilm entsprechend ihren ästhetischen Wert lediglich in
der Ausdruckskraft, nicht in Bildhaftem, und es kommt hier weniger auf die
mimische Feinheit inbetreff eines seelischen Vorgangs als auf das Deutlichmachen
einer Handlung an. Denn auf dem Handlungsfortgang ruht die Erzählung. Es sind
deshalb Filme mit spannend gebauten Szenen und schlechtem Spiel immer noch reiz-
voller als Filme mit äußerlich belanglosen Szenen und vorzüglichem Spiel und
kann deshalb dem Laienspiel im Film ein sehr viel größerer Raum als auf der Bühne
überlassen werden. Auch wo Landschaftsaufnahmen wirksam mitführend ein-
gespannt sind, wie in „Gösta Berling" und im „Kampf der Tertia", sind sie es als
symbolischer Erzählungsinhalt, nicht als Bild. Besonders gut erzählt sind die rus-
sischen Filme „Panzerkreuzer Potemkin" und „Das Ende von St. Petersburg", die
um ihres Inhaltes willen so viel Streit verursacht haben. Gerade auch die Land-
schaftsaufnahmen sind hier echt filmisch eingesetzt, so die kurzen Ausschnitte von
Feldern und die schräg gesehene Mühle, ebenso die barocken Einblicke in Peters-
burger Straßen in dem zweitgenannten Film. Vielleicht wirken vorzüglich darum
die russischen Filme so gut erzählt, weil die russischen Regisseure den Film be-
wußt einer außerfilmischen Tendenz unterstellen, ihn dadurch gewissermaßen lite-
rarisch durchprägen und eben hiermit filmisch richtig das Anschauliche unanschau-
 
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