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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0306
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292

BESPRECHUNGEN.

Linie von U. seit mehr als zwei Jahrzehnten verfochtene geistesgeschichtliche
Literaturbetrachtung sich in einem Maße durchgesetzt hat, wie es ihr Vorkämpfer
vielleicht selbst kaum zu hoffen gewagt hat. Daß sich diese Bewegung zumal seit
dem Kriegserlebnis eingebettet sieht in eine gleichgerichtete, die alle Wissenschaften
mehr oder minder berührt, schmälert das Verdienst ihres Vorkämpfers nicht. Und
daß es ein unbestreitbares Verdienst ist, soweit geistesgeschichtliche Literatur-
betrachtung mit der bei U. gewohnten verantwortungsbewußten Gründlichkeit und
kenntnisreichen Vertiefung geübt wird, wird heute auch der gern anerkennen, der
daneben philologischer Grundlegung ihr Recht gewahrt wissen möchte, das ja auch
U. keineswegs bestreitet.

Daß U.s Weg bei aller Klarheit des letzten Zieles, der philosophischen Durch-
dringung der Literaturwissenschaft, keineswegs ein ganz gleichförmiger gewesen
ist, davon legt der erste, der Prinzipienlehre gewidmete Band reizvollles Zeugnis
ab. In einem freilich bleibt er sich von Anfang an gleich: in der Vornehmheit der
Polemik gegen andere, auch die entgegengesetzten, Richtungen. Wie wohltuend be-
rührt es gerade im Hinblick auf heute beliebte Ungerechtigkeit, wenn U. die Ver-
dienste Scherers und seiner Schule wiederholt willig anerkennt. Die Charakteristik
Scherers in dem Aufsatz „Vom Werden und Wesen der neueren deutschen Lite-
raturwissenschaft" (S. 33—48) gehört in ihrer Knappheit zweifellos zu dem besten,
was über diese geniale Persönlichkeit geschrieben ist, wenn er ihr, wie mir scheint,
auch in einem Punkte nicht ganz gerecht wird: wie schon bei der Wertung von
Scherers Poetik unbeachtet bleibt, daß es sich um ein posthumes Werk, den ersten
Wurf einer Vorlesung, handelt, den Sch. zweifellos selbst nie so der Öffentlichkeit
im Druck unterbreitet hätte, so wird überhaupt nicht in Rechnung gezogen, daß
Sch. bereits mit 45 Jahren aus vollstem Schaffen herausgerissen wurde, zu einer
Zeit, da, wie gerade die Poetik zeigt, seine Entwicklung keineswegs ab-
geschlossen war.

Wie diesen der Frühzeit (1913/14) angehörigen wissenschaftsgeschichtlichen Auf-
satz, so kennzeichnet die gleiche vornehme Sachlichkeit auch, bei aller Gegensätzlich-
keit der Anschauung, die Auseinandersetzung mit Nadlers Auffassung der Romantik
in dem 1925 zuerst erschienenen Aufsatz über „Die Vorbereitung der Romantik in der
ostpreußischen Literatur des 18. Jahrhunderts" (S. 171—195); gegenüber Nadlers
These von der Romantik als ostdeutscher, in Blut und Schicksal der Neustämme auf
kolonisiertem Slavenland begründeter Bewegung legt U. hier überzeugend dar, daß
nicht nur ostdeutsche Herkunft bloß für eine Minderheit der Romantiker nachweis-
bar ist, sondern daß auch die Entstehung der Romantik bei ihrer Bedingtheit durch
Sturm und Drang und Klassik kein stammeskundliches, sondern ein geistesgeschicht-
liches Problem ist. Ähnlich wird dann in der „prinzipienwissenschaftlichen Skizze"
„Hamann und die Romantik" (1925, S. 196—211) mit Stefansky betont, daß
Hamann nicht als Mystiker aufzufassen sei und somit außerhalb der von Nadler
seinem Stamme und seiner Landschaft zugeschriebenen Denkform zu stehen komme,
sodaß damit die von der stammeskundlichen Betrachtung Nadlers postulierte Reihe,
die von Hamann bis Zacharias Werner führe, gestört werde. Andererseits aber
sieht sich U. auch gegenüber der von Nadler mit jener verbundenen typenpsycho-
logischen Auffassung Hamanns als romantischer Natur zur Skepsis genötigt, da
zuvor eine sorgfältige typologische Erfassung des vorromantischen Irrationalismus
wie der Früh- und Spätromantik selbst zu leisten sei.

Wenden wir uns nun den Aufsätzen zu, die der Darlegung von Ungers eigener
Methode gewidmet sind, so ist von vornherein die Einwirkung der drei großen
Anreger zu spüren, deren Werk nach der literarhistorischen Seite fortzuführen und
auszubauen U. unternommen hat: Herder, Hegel und Dilthey. Der erste Aufsatz
 
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