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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0312
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298

BESPRECHUNGEN.

sehene und auch treffend erläuterte Erscheinungen, wenn auch zuweilen irgendeine
theoretische Folgerung den Verfasser zu zweifelhaften Behauptungen verleitet wie
etwa im Fall Münchhausen1). Auch Nebenergebnisse sind oft wohlgelungen wie
z. B. die Kennzeichnungen von echtem, unechtem und hohlem Pathos, von unechten
Gefühlen und ihrer Verlautbarung. Wo jedoch die Ironie in ihrem Wesen, ihren
Grundmöglichkeiten und Grundformen aufgewiesen werden soll, da gerade fehlt
m. E. die letzte wünschenswerte Klarheit, ja da begegnet zuweilen sogar ein un-
übersichtliches Durcheinander. So wird zwar berührt, nirgends jedoch bis ins letzte
unterschieden, was ich nennen möchte monologische Ironie (Selbstironie, zu der kein
zweites Bewußtsein als Objekt oder als Hörer gehört), dialogische Ironie (als freund-
schaftliche oder feindschaftliche, als Kampf-, Neck-, pädagogische oder sonstwie
geartete Verkehrsweise zweier Menschen unter sich) und schließlich dieselbe Ironie
vor einem oder mehreren Dritten. Und doch handelt es sich hier um gänzlich
verschiedene Formen der Ironie. Und wiederum ist innerhalb der letztgenannten
dreigliedrigen Formung A, B und XYZ weiter scharf zu unterscheiden:

1. A ironisiert B, so daß es wohl B merkt, nicht aber XYZ;

2. A ironisiert B, so daß es wohl XYZ merken, aber nicht B;

3. A ironisiert XYZ, so daß es wohl diese merken, nicht aber B;

4. A ironisiert XYZ, so daß es wohl B merkt, nicht aber XYZ.

Das soll nur eine ganz rohe Übersicht sein, in Wahrheit sind der feineren Mög-
lichkeiten noch unendlich mehr, je nach der Art der Ironie, die sich in diesen Situa-
tionen äußern will. Solche schier unübersehbare Mannigfaltigkeit soll eben gerade
die philosophische Überlegung lichtvoll gliedern und verständnisvoll erhellen. J.s
Schrift läßt jedoch in dieser Beziehung noch sehr viel zu tun übrig. Der Verfasser
berührt zwar viel, vielleicht zu viel, dringt aber nicht zu letzter Klarheit vor.

Wenig förderlich für eine letzte Durchdringung des fraglichen Problems ist
auch stellenweile J.s Sprache. Gerade, wo die „Elementarstruktur" der Ironie erfaßt
werden soll, schwelgt des Verfassers Stil in einer Bildersprache, die wenig zu letzter
Klärung paßt. Da ist von Strahlen und Strömen die Rede, Gesinnungsströmen und
Urteilsstrahlen, ferner im Anschluß an Alexander Pfänder von „Öffnung im Ich"
und „Ausfluß im Selbst", vom „substantiellen Kernfaden echter Liebe" und anderen
schönen Dingen mehr. „Der Gesinnungsstrom, der soeben noch vom Ichzentrum auf-
gehalten wurde, strömt jetzt, von diesem wieder freigegeben, gegen das Gemälde-
Objekt aus, erfaßt dieses verneinend und geht durch dieses noch hindurch, auf den
Künstler in demselben verneinenden Sinne auf treffend" (S. 15). Zuweilen entgleisen
die Bilder auch etwas: „auf diese »strahlende« Schicht nun trifft der Strom nega-
tiver Gesinnung auf, um an ihn den Zahn der Zerstörung anzusetzen" (16): ein
Strom, der einen Zahn ansetzt!, oder zwei Ströme, die „beide einander überbauen"
(13): A überbaut B, ist also oberhalb von B, wie soll dann gleichzeitig B ober-
halb (überbauend) von A sein! Bildersprache ist in der Philosophie immer etwas
Gefährliches; fast stets lassen sich die betreffenden Gedanken ohne Bilder besser
und treffender ausdrücken.

x) S. 26: „diese echte Münchhausen-Aufschneiderei ist nichts weiter als Phan-
tasie unter der Chiffre der Wirklichkeit. Eine komische Wirkung kann nicht und
soll nicht in diesem Fall zustande kommen (?). Erzähler und Zuhörer befinden
sich während des Erzählens in einer unwirklichen Sphäre, weil sie im Augenblick
des Erzählens selbst alles glauben wollen (?); außerhalb Stehende (?) werden
jedoch eine komische Wirkung empfinden, weil sie den Aufschneider als Ironiker
ansehen müssen, da sie nichts von der „stillschweigenden Verabredung" wissen (?).
Es ist vorher verabredet, daß die Maske Wahrheit sein soll (?)".
 
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