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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0331
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BESPRECHUNGEN.

317

Teilweise vor vielen Jahrhunderten entstanden und meist der Willkür gedächtnis-
mäßiger Überlieferung anvertraut, haben sich viele „colinde" inhaltlich stark gewan-
delt und weisen nunmehr öfters Unklarheiten und Unstimmigkeiten auf. Aber auch
die textliche und musikalische Form, in den vorauszusetzenden Ausgangsfassungen
zielsicherer zu künstlerischer Wirkung vereinigt und gehoben, haben meist ihre
ursprüngliche persönliche Note verloren und haben durch triebhafte Umgestaltung
typische, dem Kunstempfinden weiterer rumänischer Volkskreise angemessene Ele-
mente aufgenommen. Ihre verwitterte Gestalt zeigt viele der Untersuchung werte,
charakteristische Schönheiten. Es würde sich reichlich lohnen, wenn man sich ein-
mal an der schwereren Arbeit versuchen würde, von den überlieferten Varianten zu
den ursprünglichen Liedfassungen vorzudringen und diese dann kunstge-
schichtlich einzuordnen. Für solche Zwecke ist aber zunächst eine möglichst um-
fassende und zuverlässige Materialsammlung vonnöten, wie sie denn auch in groß-
zügiger Weise, für alle Gattungen des Volksliedes, in den letzten Jahren die
Kommission für das rumänische Phonogrammarchiv in Angriff genommen hat.

Die Weihnachtsliedersammlung des rumänischen Komponisten Dragoi, in den
Jahren 1923—1925 entstanden1), hat zwar noch nicht den Phonographen in den
Dienst der Volksliedaufnahme gestellt, gehört also in dieser Beziehung noch einer
früheren Arbeitsphase rumänischer Folkloristik an; dennoch — durch das Streben
nach größter Treue in der Wiedergabe der Lieder, durch weitgehende Berücksichti-
gung von Text und Melodie sowie durch ungewöhnlicheReichhaltigkeit ausgezeichnet
— eröffnet sie mit Recht die Reihe der vom rumänischen Phonogrammarchiv in Aus-
sicht genommenen Schriften. Ein besonderes Verdienst um die Erforschung der rumä-
nischen Weihnachtslieder hat sich D. insbesondere auch durch seine umfangreiche Ein-
leitung erworben, in der vor allem die Melodien nach Taktart, Rhythmus, Tonleiter,
Ambitus, Modulation, formalem Aufbau, Tempo usw. eingehend analysiert und in
ihrer Eigenart im Vergleiche zur Universahnusik beleuchtet werden; eine größere
Anzahl beigegebener Tabellen erleichtert die selbständige Durchdringung des
Stoffes2).

Nachdem lange Zeit mit Unrecht fast ausschließlich die Texte das Interesse
der Sammler und Forscher beherrscht haben, scheint es, als ob man im Begriffe
wäre, nunmehr die Melodien einseitig hervorzuheben. Charakteristisch ist, daß die
Leitung des rumänischen Phonogrammarchiv s, der unlängst gegrün-
deten rumänischen Sammelstelle für Volkslieder, bisher ausschließlich in den Händen
hervorragender Musiker liegt. In der besprochenen Sammlung wird dann bei einer
Anzahl von Liedern nur die Melodie mitgeteilt. Wort und Weise bilden aber eine un-
lösbare Einheit, und die rumänischen Volkslieder können — wie auch andere — volks-
kundlich und ästhetisch nur in dieser Einheit von Ton- und Wortschöpfung richtig
gewürdigt werden. Das beste Material für Untersuchungen jeder Art wird man
deshalb nur dann bieten können, wenn bei Aufnahme und Herausgabe von Volks-
liedern Musiker und volkskundlich gebildete Philologen zu gemeinsamer
Arbeit sich zusammenschließen.

Berlin. Vasile Gh. Luta.

J) Dragoi hat inzwischen seine Sammlung in Transsilvanien fortgesetzt und
verfügt schon über mehr als 1000 Weihnachtsliedfassungen.

'-') Leider fehlen dem verdienstlichen Werke eine Inhaltsübersicht, ein Register
der Liederanfänge und — ein Druckfehlerverzeichnis (vor allem die Zahlen stimmen
nicht immer).
 
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