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ALEXANDER FREIHERR v. REITZENSTEIN.
Schreibung, die sich Geschehen nicht anders als zweidimensional vor-
stellt) übersieht dies auch keineswegs; sie meint ja nur den Teil der
älteren Gruppe, der nach Aussage sprechender Indizien nur in Zeit-
parallele zu einem Teil der jüngeren Gruppe entstanden sein kann. Denn:
Jonas und Reiter können gleichzeitig entstanden sein — es ist wahr-
scheinlich, daß sie es sind. Aber bei allem, was der Jonas vom Reiter
her in sich aufnimmt; innerlich ist er es nicht, ist er älter. Der Reiter
ist — was der Jonas, weil Ornament (dies aber nicht im gewöhnlichen
Sinne), noch nicht ist — Statue. Das ist eine Figur dann, wenn sie
das Gesetz ihres Seins in sich trägt. Die des 13. Jahrhunderts erlangt
einen so hohen Grad von Selbständigkeit, von „Freiheit", daß sie sich mit
der Antike — die den Begriff Statue so ausschließlich vermittelt, daß er
durch eine Annäherung an sie bedingt ist — zu berühren scheint.
Scheint — in Wahrheit geht ihr ein Wesentliches ab: die Unbedingt-
heit plastischer Existenz. Die Statue des 13. Jahrhunderts scheint
einen antiken Ausdruck absoluten Seins zu gewinnen — in W i r k 1 i c h-
keit untersteht sie einem Gesetz, das außer ihr gefunden wird: dem
Gesetz der Kathedrale. Sie ist also nicht Statue in der Strenge des antiken
Begriffes. Sie ist es aber relativ, Früherem und Späterem, 12. und 14.
Jahrhundert gegenüber. Daß sie es nicht i s t, darf zunächst zurück-
treten; daß sie es scheint, muß jetzt in den Vordergrund gerückt
werden.
Die romanische Plastik war „gebundene" Plastik, d. h. der gestaltende
Wille unterstellte sich dem ihm fremden Gesetz der Materie; die Gestal-
tung vollzog sich nach einem ihm nicht immanenten Prinzip. Dieses zu
erschüttern, sich der Bindung der Materie zu entziehen, sich selbst,
sein Gesetz i n ihr zu verwirklichen, ihr zu überstellen, war das ge-
schichtliche Ziel, dem er sich langsam zubewegte. Er bemächtigte sich
zunächst der Oberfläche, durchsetzte sie mit dem Ausdruck seiner
Gesetzlichkeit und schuf, indem er die Materie gleichmäßig in allen ihren
Teilen angriff, aus einem Konglomerat von Teilmassen eine unteilbar in
sich bestehende Einheitsmasse, die nun — gleichsam zähflüssig — jedem
von außen her auf sie andringenden Impuls nachgeben, sich biegen und
drehen, sich höhlen und wölben konnte. Erst die Vereinheitlichung der
Masse, ganz vollzogen, befähigte den gestaltenden Willen, sich in die
Mitte der Materie zu versetzen und sie durch Überstellung seiner Gesetz-
lichkeit als solche aufzuheben. In die Mitte der Materie vorgedrungen,
setzte er sich als Seele. Das, was wir hier so bezeichnen wollen, ist
das Prinzip der Statue. Wir bestimmen es allgemein als eine den Figuren-
körper gleichmäßig durchstrahlende, ihn in allen seinen Teilen besitzende
Kraft, welcher insoferne Freiheit (eine Grundbestimmung der „Seele")
zukommt, als eine äußere Bindung (wie die von der Materie ausgehende)
ALEXANDER FREIHERR v. REITZENSTEIN.
Schreibung, die sich Geschehen nicht anders als zweidimensional vor-
stellt) übersieht dies auch keineswegs; sie meint ja nur den Teil der
älteren Gruppe, der nach Aussage sprechender Indizien nur in Zeit-
parallele zu einem Teil der jüngeren Gruppe entstanden sein kann. Denn:
Jonas und Reiter können gleichzeitig entstanden sein — es ist wahr-
scheinlich, daß sie es sind. Aber bei allem, was der Jonas vom Reiter
her in sich aufnimmt; innerlich ist er es nicht, ist er älter. Der Reiter
ist — was der Jonas, weil Ornament (dies aber nicht im gewöhnlichen
Sinne), noch nicht ist — Statue. Das ist eine Figur dann, wenn sie
das Gesetz ihres Seins in sich trägt. Die des 13. Jahrhunderts erlangt
einen so hohen Grad von Selbständigkeit, von „Freiheit", daß sie sich mit
der Antike — die den Begriff Statue so ausschließlich vermittelt, daß er
durch eine Annäherung an sie bedingt ist — zu berühren scheint.
Scheint — in Wahrheit geht ihr ein Wesentliches ab: die Unbedingt-
heit plastischer Existenz. Die Statue des 13. Jahrhunderts scheint
einen antiken Ausdruck absoluten Seins zu gewinnen — in W i r k 1 i c h-
keit untersteht sie einem Gesetz, das außer ihr gefunden wird: dem
Gesetz der Kathedrale. Sie ist also nicht Statue in der Strenge des antiken
Begriffes. Sie ist es aber relativ, Früherem und Späterem, 12. und 14.
Jahrhundert gegenüber. Daß sie es nicht i s t, darf zunächst zurück-
treten; daß sie es scheint, muß jetzt in den Vordergrund gerückt
werden.
Die romanische Plastik war „gebundene" Plastik, d. h. der gestaltende
Wille unterstellte sich dem ihm fremden Gesetz der Materie; die Gestal-
tung vollzog sich nach einem ihm nicht immanenten Prinzip. Dieses zu
erschüttern, sich der Bindung der Materie zu entziehen, sich selbst,
sein Gesetz i n ihr zu verwirklichen, ihr zu überstellen, war das ge-
schichtliche Ziel, dem er sich langsam zubewegte. Er bemächtigte sich
zunächst der Oberfläche, durchsetzte sie mit dem Ausdruck seiner
Gesetzlichkeit und schuf, indem er die Materie gleichmäßig in allen ihren
Teilen angriff, aus einem Konglomerat von Teilmassen eine unteilbar in
sich bestehende Einheitsmasse, die nun — gleichsam zähflüssig — jedem
von außen her auf sie andringenden Impuls nachgeben, sich biegen und
drehen, sich höhlen und wölben konnte. Erst die Vereinheitlichung der
Masse, ganz vollzogen, befähigte den gestaltenden Willen, sich in die
Mitte der Materie zu versetzen und sie durch Überstellung seiner Gesetz-
lichkeit als solche aufzuheben. In die Mitte der Materie vorgedrungen,
setzte er sich als Seele. Das, was wir hier so bezeichnen wollen, ist
das Prinzip der Statue. Wir bestimmen es allgemein als eine den Figuren-
körper gleichmäßig durchstrahlende, ihn in allen seinen Teilen besitzende
Kraft, welcher insoferne Freiheit (eine Grundbestimmung der „Seele")
zukommt, als eine äußere Bindung (wie die von der Materie ausgehende)