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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Hildebrandt, Kurt: Friedrich Wolter's Vermächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0367
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BEMERKUNGEN.

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als schönes, weltfernes Spiel mit Form und Klängen mißdeutet wurde, die Fanfaren-
rufe der Zeitgedichte, bestimmt, mit dröhnender Leidenschaft den heroischen Willen
der Nation wieder wachzurufen. Doch kann heute niemand verstehen, wie schwierig
es damals war, in jenen Strophen die unmittelbar zerbrechende und formende
Gewalt zu erkennen, als noch keine deutenden und klärenden Darstellungen vor-
lagen, deren der Dichter selbst sich streng enthielt. Es war die große Leistung
von Wolters, die eine jüngere Generation gar nicht mehr zu bewerten vermag, da
sie Georges Werk sogleich in dieser Woltersschen Sicht kennen lernte, sich diese zu
erringen und sie zu seiner schweren und erhabenen Prosa zu formen, die in seiner —
von dem Freunde Melchior Lechter auch als Buch zum Kunstwerk geprägten —
Schrift: „Herrschaft und Dienst" vorliegt. Er beschrieb den dichterischen und mensch-
lichen Siegeszug Georges über die menschliche Seele, den er in sich erlebt hatte, und
erkannte, daß der Dichter das große Ziel, den Lebenssinn gab, nach dem Nietzsche
so qualvoll gesucht hatte, das menschliche Vorbild, das alle Schritte des Jünglings
intuitiv leitet. „E i n schreiten ist ihm schön, e i n tun ihm edel, e i n zeichen gültig,
in dem er freund vom freunde, feind vom feinde unterscheidet." Und als ob er schon
■damals alle Widerstände eines auf seine kleinlichste individuelle Freiheit so ein-
gebildeten Geschlechtes geahnt hätte, preist er Ehrfurcht und Selbsthingabe als Quell
aller neuen Kraft: „Denn die selbsthingabe ist kein Verlust der eigenkräfte, wie die
schwachen toren uns glauben machen wollen, sondern das notwendige öffnen der
empfänglichen kraft der seele, das berührtwerden der innersten keimzelle und das
erlöstwerden aus dem toten kerker der kleinsten geistigen Unteilbarkeit, des indivi-
duum infecundum". In dieser Befruchtung und Empfängnis sah Wolters die schöpfe-
rische Kraft der Wiedergeburt des Volkes, und indem er die Lust des Dienens neben
die Lust des Herrschens erhob, nannte er den Dichter den Herrscher des beginnen-
den geistigen Reiches. Wie er damals von George in seinem Wert erkannt und im
vertrauten Verkehr als Freund aufgenommen wurde, das hat er in der X. Folge der
Blätter in dem Gedicht-Zyklus „Der Meister" gesagt:

„Seit dein wort danach ich lass und handle
Leiser kam als sommerlicher regen
Schwellst du lautlos freudiges bewegen
Herr und freund, in dem ich bin und wandle."

Diese neue Idee des ..geistigen Reiches" war entscheidend für Denken und Tun der
neuen Jugend, die erst durch diese Vermittlung fähig wurde, das flüssige Feuer
des VII. Ringes in die eignen Adern aufzunehmen und Georges großen Ruf zum
rühmlichen Wirken zu verstehen. So entstand 1910—12 das „Jahrbuch für die gei-
stige Bewegung", ein Ausdruck dieser ganz neuen staatlichen Gesinnung, auch durch
den Kampf gegen die gleichgültige und gehässige Umwelt dem großen Führer den
Raum zu schaffen für sein Werk. Eine Folge davon war, daß viele, die bisher keinen
Vers der neuen Dichtung verstanden hatten, von nun an den Dichter mit billigstem
Lobe priesen, dagegen seine streitbaren Bekenner schmähten — die übrigens nie ein
Hehl daraus machten, daß dieser offene Kampf gegen die Umwelt ihnen nur als be-
grenztes Nebenwerk erlaubt schien.

Beim Ausbruch des Krieges stellte sich Wolters, wie die meisten Freunde, in
Begeisterung dem Vaterlande zur Verfügung, froh, mit der Tat beweisen zu können,
daß sie nur dem seichten Genuß und dem verdorrten Geiste der führenden Schicht
die Verachtung bezeigt hatten, sich aber mit dem bluthaften Ganzen des Volkes, dem
die Verheißung innewohnt, in Leben und Sterben eins fühlten. Während des Feld-
zuges im Gebirge Mazedoniens ergriff ihn die schwere rheumatische Erkrankung,
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