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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0400
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386

BESPRECHUNGEN.

rischen Kunstwerkes von dieser erstgeschaffenen abhängig sind und damit notwendig
abgeleitete Produkte der ursprünglichen Operationen darstellen. Damit hängt auch
seine interessante Theorie vom Wesen der literarischen Sätze zusammen. Sie sind
nach I. weder echte Urteile noch reine Aussagesätze (d. h. Sätze, die keinerlei Set-
zung der entworfenen Sachverhalte vornehmen), sondern eigentümliche Quasi-Urteile
mit dem äußeren Habitus von Urteilen, aber ohne deren vollen Ernst und vor allein
ohne die Vermeinung des Angepaßtseins an die bestehenden Sachverhalte. Unter
diesen Quasi-Urteilen gibt es noch allerlei Unterarten, je nachdem sie im Zusammen-
hang etwa eines symbolischen Dramas, eines in einer bestimmten Umgebung spie-
lenden Zeitromans oder eines eigentlichen „historischen Romans" vorkommen. Auch
an den anderen Sätzen (Frage, Wunsch usw.) glaubt I. im literarischen Kunstwerk
analoge Modifikationen feststellen zu können. — Gegen diese Theorie lassen sich
freilich Bedenken erheben. Können sich die dargestellten Gegenstände und Sach-
verhalte nicht auch unabhängig von entwerfenden Sätzen unmittelbar in der Phan-
tasie konstituieren? Wie wäre es sonst möglich, daß ein Autor oft lange nach
dem beschreibenden Satz suchen muß, der den ihm vorschwebenden Gegenstand
„trifft", ihn „festhält"? Es ist überhaupt auffallend, daß bei I. niemals von der
Phantasie die Rede ist, deren eigentümliche Leistung es zu sein scheint, Gegenstände
unmittelbar zu entwerfen. Wenn aber dem so ist, dann läßt sich sehr wohl die Be-
hauptung vertreten, daß auch der literarische Satz ein echtes, sich Gegenständen
anpassendes Urteil ist, zwar nicht realen, auch nicht idealen, wohl aber phantasier-
ten Gegenständen, über die wahre und falsche Urteile durchaus möglich sind (z. B.
über den Zentauren). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Fortexistenz
solcher phantasiertet- Gegenstände von diesen Urteilen abhängen sollte und wenn
der Leser nur durch die Sätze hindurch zu den phantasierten Gegenständen ge-
langen könnte; das kommt auch bei realen Gegenständen vor, z. B. bei vergangenen,
die nur noch durch die überlieferten Urteile hindurch zugänglich sind.

Die Seinsart des literarischen Werkes wird nun von I. auf Grund seiner Dar-
legungen als „rein intentional" bezeichnet; es ist ein „reines Nichts" gegenüber den
realen und idealen Gegenständen. Indessen bereits terminologisch ist die üblich ge-
wordene Rede von einem rein intentionalen Gegenstande unglücklich. Streng genom-
men kann es gar keinen rein intentionalen, d. h. nur gemeinten Gegenstand geben.
Damit er gemeint werden kann, muß er zuvor durch Phantasie oder sonst auf
andere Weise gegeben sein. In sachlicher Hinsicht aber wird dem literarischen
Kunstwerk eine zu schwache Seinsart eingeräumt, wenn man es nur als ein Produkt
schaffender Operationen auffaßt, die ja nur momentanen Charakter haben. Es unter-
schiede sich damit nicht mehr von einem beliebigen Einfall, einer gleichgültig hin-
gesagten Behauptung. Offenbar gibt es hier doch noch recht verschiedene Seins-
formen. Auch I. gibt das indirekt zu, indem er das literarische Werk auch un-
abhängig von den Operationen seinsheteronom fortexistieren läßt und ausdrücklich
von seiner möglichen Reaktualisierung spricht. Ob freilich die idealen Begriffe die
seinsautonome Stütze für eine solche Seinsart sein können, läßt sich bezweifeln; sie
müßten sonst auch die Fortexistenz jedes beliebigen, etwa in einem Gespräch ge-
äußerten Satzes bewirken. Hier weist allerdings I. auch den realen Schriftsymbolen
im Zusammenhang mit der sprachlautlichen Schicht eine sekundäre Bedeutung für
die Seinsart des literarischen Werkes zu. Zum fertigen literarischen Werk selbst
sollen sie freilich nicht gehören. Aber hängt das literarische Gebilde wirklich nur so
äußerlich mit den litterae, den Buchstaben zusammen? Davon wird auch die Frage
der Seinsart der literarischen Gebilde wesentlich abhängen. Das ganze Problem läßt
 
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