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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0217
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BESPRECHUNGEN.

203

alle Einwände gegen die Perspektive leiten ihre Berechtigung teils aus dem sub-
jektivistischen und daher zufälligen Charakter der Perspektive her, teils aus der
Tatsache, daß sie die Objektivität sicherstellt (so der Expressionismus). In dieser
Polarität der Perspektive sieht P. nur die zwiefache Ansicht einer und derselben
Sache. Wie man auch den Akzent legt: die Perspektive ist „eine Ordnung der
visuellen Erscheinung" (290). — Die Behandlung einer Einzelfrage:
»Werdende Gotik und Antike in der burgundischen Baukunst
des 12. Jahrhunderts" gibt Rudolf Kautzsch die Möglichkeit zu be-
weisen, „daß neben der Strömung, die zur Gotik führt, in der abendländischen Bau-
kunst eine andere hergeht, die ganz offenbar rational gerichteten Zielen zustrebt, die
denen der Renaissancebaukunst innerlich verwandt sind" (343). In dem Gegensatz
beider Richtungen offenbaren sich nach Kautzsch zwei zu allen Zeiten und bei allen
Völkern vorhandene Arten des Verhaltens zu Welt und Wirklichkeit, von denen die
eine die Schönheit der Wirklichkeit gestalten, die andere das Erlebnis der Seele im
Kunstwerk ausdrücken will. Welche der beiden Verhaltensweisen jeweils die Ober-
hand gewinnt, hänge von der allgemeinen geistigen Lage der Zeit oder des Volkes
ab. Von diesem Standpunkt aus gesehen gewinnt der Übergang von der Architektur
der werdenden Gotik zur antikischen Architektur der jüngeren burgundischen Schule
den Charakter des Übergangs von einer „weitabgewandten geistigen und künstleri-
schen Strömung zu einer der Welt zugewandten" (344), und erweist sich damit als
Niederschlag einer weitreichenden geistigen Bewegung, die auch in der Literatur
der Zeit in die Erscheinung tritt (333).

Im Mittelpunkt des für uns bedeutsamsten Beitrages von Band V steht wieder
das Problem der Perspektive. Jacques Mesnil, der „Die Kunstlehre
der Frührenaissance im Werke Masaccios" behandelt, hebt als das
Neue dieses früh zu Gemessenheit und Abgeklärtheit entwickelten Künstlers „die
strenge perspektivische Darstellung des Raumes" (126) heraus. Die Perspektive,
eben damals von Brunelleschi theoretisch gefaßt, erweist sich von vornherein als ein
Doppelwesen, das ein künstlerisches und ein technisches Prinzip in sich birgt: sie
•st logische Ordnung, als solche von geistigem Charakter und der E i n -
h e i t des Kunstwerkes dienend; und sie ist optischeTäuschung, daher i 11 u-
sionsfördernd, die Einheit des Kunstwerks als rein geistige Schöpfung zer-
störend. Masaccio kennt den künstlerischen Sinn der Perspektive als „Verbindungs-
und Konzentrationsprinzip der malerischen Komposition". Er weiß um den „drama-
tischen Wert des Sehpunktes" (131); er wählt einen niedrigen Sehpunkt und hebt
damit die unmittelbare Beteiligung des Beschauers am dargestellten Vorgang auf.
Verstärkung der Illusion — eine Tendenz, deren Auftreten in den bildenden Künsten
Mesnil auf Einfluß vom Theater zurückführt (135) — erstrebt Masaccio nicht. Daß
er oder ein anderer zeitgenössischer Künstler durch systematische Gedankenarbeit
die theoretische Erkenntnis von der einheitschaffenden Funktion der Perspektive als
Kunstmittel besaß, ist nicht zu erweisen. Ihre verständnisvolle praktische Anwen-
dung zeigen die Bilder, von denen Reproduktionen beigegeben sind. Es fehlte nur
ein kleiner Schritt zur Erfassung der ästhetischen Bedeutung der Perspektive. Ihre
Theorie fand ein Architekt, kein Maler. Und in der Architektur wenden auch die
Maler zuerst die geometrische Perspektive an, aus dem Bedürfnis heraus, Einheit,
Bau und Rhythmus des Kunstwerks anschaulich zu machen. Denn wie für die An-
tike Proportionalität ein wesentliches Element der Schönheit ist, so erblickt der
Künstler der Renaissance das Wesen der Schönheit in der „harmonischen Einheit des
Kunstwerks" (139). Die Linearperspektive ist ein Mittel, diese Harmonie zu offen-
 
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