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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0229
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BESPRECHUNGEN.

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person zum Okkulten bildet denn auch eine eigene (letzte) Fragengruppe des oben
erwähnten Untersuchungsschemas. Im Falle Reimpell liegen die Dinge so, daß bei
ihm das unbedingte Gefühl besteht, selbst „hellseherisch" begabt zu sein: wie dies
nicht bloß aus seiner Beantwortung dieser Fragen hervorgeht (S. 47), sondern auch
sonst allenthalben in seinen Aussagen zum Durchbruch kommt. Auch seine ganze
Denkweise, seine geistige Grundhaltung, ist wesentlich die des „Okkultisten", wenn
auch gewissermaßen von oben her durch ein ehrliches und naives Wissenschaftlich-
keitsstreben überwacht; so daß er daran zweifelt, daß „die üblichen spiritistischen
und okkultistischen Erklärungsversuche genügen", zu ergründen, was jene „Geister-
erscheinungen", Wahrträume usw. „tatsächlich sind und woher sie stammen" (S. 47).
Unter den abgebildeten Sichtgebilden Reimpells ist eines, wie erwähnt, mit „Rudolf
Steiner" überschrieben, ein anderes betrifft die Astrologie. Die grundsätzliche Ver-
wandtschaft solcher Bilder — nicht bloß der Reimpellschen — mit mediumistischen
Zeichnungen ist ebenfalls schon erwähnt worden. Wie, drittens, gleichfalls erwähnt,
dient auch der Anblick von Personen — oder auch von deren Handschriften — als
Auslöser von Photismen; an diese knüpft Reimpell Schlüsse und Behauptungen über
die Person von der Art, wie sie Wahrsager von jeglicher Sorte vorzubringen pfle-
gen. A. gibt ein Beispiel aus „vielen hundert Beurteilungen von Personen" nach dem
Protokoll wieder (S. 101 f.) und knüpft daran die folgenden Erläuterungen: „Be-
stimmte Eigenschaften werden ... den einzelnen Personen deshalb beigelegt, weil
bestimmte Färbungen an ihm [sollte heißen: an ihnen] erscheinen. Vergleicht man
diese Feststellungen mit den theosophischen Behauptungen in den Werken von
Leadbeater oder Leadbeater und Annie Besant, so liegt die Ver-
mutung nahe, daß die dort behandelten, zum Teil bildlich dargestellten und meta-
physisch ausgelegten Erscheinungen im Grunde Analoges bedeuten, daß sie also
subjektiven Ursprungs und als subjektive Symbole oder Symbolismen anzusprechen
sind. Welche metaphysische oder erkenntnistheoretische Bedeutung dabei die Syn-
ästhesien ihrerseits besitzen können, wird an dieser Stelle nicht erörtert."

Dies letztere ist der springende Punkt. Selbst wenn — wie hier durchaus wahr-
scheinlich wird — die Gesichte der „Hellseher" durchwegs, oder zu einem Teil, syn-
ästhetischer oder verwandter (eidetischer) Natur sind, so ist damit über den etwaigen
erkenntnistheoretischen Wert und Unwert des „Hellsehens" noch nicht entschieden.
Es ist gerade das Verdienst der früheren Arbeiten A.s, an der Empfindungs-
Synästhesie ein erkenntnistheoretisches Moment herausgearbeitet zu haben:

„Sieht jemand in seinen ,Visionen' Farben und Formen, die etwas Gehörtes
oder auch Gedachtes repräsentieren, das jedoch im Hören oder im bewußten
Denken nicht erfaßt wurde und vielleicht unerfaßbar ist, so ist dies zweifellos eine
Art von Erkenntnis, die von Erkenntnis im sonst üblichen Sinne abweicht. Vielleicht
ist es ... dasjenige Erkennen, das dem Erschauen des Orientalen, der Intuition,
dem unmittelbar Gegenwärtighaben der Religionen, dem schon von Tacitus in bezug
auf die deutschen Frauen betonten ,aliquid providum', dieser Seher- oder Ahnungs-
gabe, irgendwie entspricht." — „In den musikalischen Ph[otismen] finden sich selbst
solche Elemente des Hörens übertragen ... wieder, die einer akustisch-musikalischen
Analyse entweder gar nicht oder nur indirekt zugänglich sind"; „sehr häufig" ist
beim Farbenhören der Fall, daß dem Synoptiker „erst an Hand der Farbeneigen-
schaften klar wird, wie ein Klang eigentlich beschaffen ist, Dinge, die er aus dem
direkten Hören heraus gar nicht angeben könnte"2).

a) Kurze Einführung in die Farbe-Ton-Forschung, Leipz. 1927, S. 29 und 14;
 
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